I N T E R V I E W Fischer sagt, was manche denken

■ Grünen–Fraktionssprecher Thomas Ebermann ist gegen Ausschlußphantasien / Joschka Fischer erwartet keinen Erfolg im ersten Vorstoß

taz: Einen Tag vor eurem Parteitag hat Joschka die Debatte eröffnet, ob der Sofortausstieg aus der Atomenergie ein politisches Ziel der Grünen sein soll. Ist damit das Thema für Oldenburg diktiert, oder könnt ihr das ignorieren? Thomas Ebermann: Klar ist, daß Joschka sich damit einen großen, vielbeachteten Auftritt verschafft hat. Ein Bestandteil des Parteitages wird sicher sein, sich damit auseinanderzusetzen, wie Joschka und einige seiner Freunde versuchen, das politische Projekt Grüne zu demontieren. Wir wollen dabei aus unserer Sicht deutlich machen, daß nicht nur die Wege zu irgendwelchen Zielen umstritten sind, sondern die Ziele selbst unter den Hammer geraten. Ich meine aber auch, daß Wahlauswertung und Diskussion der Krise der Grünen nicht zu einem Pro und Contra Joschka verkürzt werden sollen. Hat sich Joschka mit seinem Verzicht auf die Forderung nach Sofortausstieg politisch isoliert? Ich befürchte: Nein. Einige Grüne denken längst, was er ausgesprochen hat. Sein Vorschlag hat aber aktuell eine extrem absurde Situation produziert: Wir in der Fraktion hatten uns für Donnerstag vorgenommen, darzustellen, wie die SPD sich speziell in NRW auf dem Weg befindet, einen Teil ihrer eigenen Beschlußlage zu verlassen und den Exportschlager Hochtemperaturreaktor unbehindert auf den Weg zu bringen. Zu diesem Zwecke, weil das in der SPD selbst umstritten ist, haben wir eine namentliche Abstimmung initiiert, die in der SPD mögliche Widersprüche vertiefen sollte, und genau da kommt Joschka und schlägt der SPD, die von ihrer Zehn–Jahres–Versprechung abrückt, so massiv eine Bresche, daß auch Realpolitiker, die sonst stark in seine Richtung denken, dies als ungeheuerlich empfanden. Wenn Joschka sagt, was viele Grüne insgeheim denken, müßtest du die offenen Worte doch begrüßen? Ich kann ja nicht begrüßen, wenn ich mit ansehen muß, wie das grüne Projekt insgesamt zerstört wird, und wenn unter dem beschönigenden Wort des Tabubruchs nach und nach erfüllt werden soll, was die SPD von uns fordert: Bekenntnis zur Marktwirtschaft, zum westlichen Bündnis ... Einige Grüne, wie Gertrud Schilling, fordern Joschkas Parteiaustritt. Unterstützt du sie dabei? Das halte ich für dummes Zeug. Die Grünen sollen den Doktrinen bürgerlicher Politik widerstehen, aber die Diskussion darüber nicht mit töricht–hitzigen Ausschlußphantasien belasten. Würdest Du es als Erfolg für euch bezeichnen, wenn die Grünen am Wochenende beschließen, der Sofortausstieg bleibt grüne Forderung? Ich glaube, die Joschka Fischers und Fritz Kuhns bilden sich nicht ein, im ersten Zug zu siegen. Sie wollten noch vor einiger Zeit unglaubliche Thesen als legitime Querdenkerei verankern. Das ist die große Gefahr, daß die Grünen selbstzufrieden sagen: hat sich ja nicht durchgesetzt, aber den ganzen Ernst der Rechtsverschiebung der Partei insgesamt als Querelen von mediengeilen Flügelhengsten abtun. Könnt ihr Ökosozialisten dem denn mehr entgegensetzen als nur das ewige: aber das steht im Programm? Es reicht nicht, daß die Grünen programmatisch am Sofortausstieg festhalten, das aber im hintersten Bücherregal, als Grundwert sozusagen, verschwinden lassen. Wir müssen diesen Forderungen in der alltäglichen Politik Priorität einräumen. Ich würde mich als politisch besiegt erklären, wenn das Ergebnis dieses Vorstoßes eine Bestätigung wäre: ok, es bleibt beim Sofortausstieg, ok, wir wollen aus der NATO raus, aber unsere konkrete Politik ist die Definition des Machbaren mit der SPD oder die Unterstützung Kohls gegen Strauß oder Blüms gegen Dregger. Wenn also die programmatische Politik museal wird. Das Interview führte: Oliver Tolmein