Dylan hätte hier keine Chance gehabt

New York (taz) - Der Conferencier des Abends hat auch längst die Midlife–Crises hinter sich gelassen. Trotzdem steigt er doch jedesmal erneut zu Höchstform auf, wenn es gilt, den Star des Abends anzukündigen: Heute, im Hinterzimmer dieser Kneipe an der Bleecker Street, einen Steinwurf vom legendären Washington Square mitten im Village von Manhattan: Mr. Bob Dylan. Rund 250 Hartgesottene sitzen, stehen, liegen und erwarten IHN, der heute nicht einfach, sondern dreißigfach Nerven und Trommelfell strapaziert. Angesagt ist die alljährliche Bob–Dylan–Imitations–Show. Bei dreißig Dylans in fünf Stunden kommen damit ganze neun Zuschauer auf einen Dylan - so intim ging es nicht einmal zu den seligen Zeiten im „Bitter End“ zu. Doch das hier ist keine Show. Hier geht es um den harten Wettkampf. Eine akribische Jury und ein gnadenloses Publikum warten auf jeden Dylan, zerreißen ihn in der Luft, wenn er nicht genauestens ihrem Original entspricht. Dann erscheint ER, unter dem frenetischen Jubel der Anwesenden, spielt „Mr. Tambourine Man“, und das Publikum schreit, stampft, johlt, bricht in Begeisterung aus, die Biergläser schwappen über, der Saal tobt - „this was Bob Dylan No. one and now we welcome - Bob Dylan“. Dem Zweiten geht es schlechter, er ähnelt mehr Jonny Cash als Dylan und spielt auch so. Zehn Takte lang, dann tritt der gewaltige Jury–Gong in Aktion und scheucht das Häufchen Elend von der Bühne. Und so geht es weiter, Schlag auf Schlag und Gong auf Gong. Alle zehn Dylans ist Pause, in der natürlich nur Dylan (original und vom Band) gespielt wird. Da können dann die Dylans Tips über wirkungsvolles Krächzen austauschen. Und dann kommt Dylan Nummer 14. Er bewegt sich rückwärts durch die Bankreihen, wir können sein Gesicht nicht sehen. Ein Aufschrei geht durch den Laden: „Its HIM, its HIM!“ Die Ewiggestrigen steigen auf Stühle und Bänke, und wie groß ist die Enttäuschung, als sich Dylan umdreht: So fett kann er ja nun doch nicht geworden sein. Nach dreißig Dylans und vier Stunden zieht sich die Jury zur Beratung zurück. Die Sieger erhalten wertvolle Präsente (darunter eine aufblasbare Gitarre, auf der es sich auch nicht schlechter spielen läßt), und der Abend ist gelaufen. Bob Dylan hätte hier keine Chance gehabt. Er wäre gnadenlos als Imitator entlarvt worden. Klaus Hillenbrand