Die Jagd ist los - die Beute weg

■ Italiens Umweltschützer lärmen zur Jagderöffnung: Das Wild flieht, des Jägers Lebensfreude ist gefährdet Alljährlich ballert, wer immer will, auf alles, was sich bewegt / Der Widerstand gegen die Ballermänner wächst

Aus der Campania Werner Raith

„Drei Stunden schon“, knurrt Gennaro Di Cristina aus Castelvolturno nördlich von Neapel, „drei Stunden ist die Saison schon alt, und keinen Schwanz erlegt“. Zwei Dutzend Schrotpatronen hat er schon verschossen - „über die Köpfe dieser Sauhunde hinweg, aber das nächste mal halt ich tiefer“, nimmt er sich vor. Die „Sauhunde“ sehen aus wie lebende Vogelscheuchen, sind mit Deckeln, Kochlöffeln, Kindertrommeln ausgerüstet und waren, zu Gennaros Schreck, just fünf Minuten vor Beginn der gesetzlich erlaubten Jagdzeit Sonntag früh um sechs Uhr „regelrecht aus dem Boden gewachsen und haben mit ihrem Spektakel die Vögel und Kaninchen verscheucht, ehe man auch nur einmal zum Schuß kam.“ Nach weithin erfolglosen Protesten der Vorjahre und einem vom Verfassungsgericht abgeschmetterten Volksbegehren zur Einschränkung der Jagd, wollen die Umweltschützer jetzt bedrohte Fauna retten, indem sie sie durch Krawall und bedrohliche Kleidung vor dem Schuß wegtreiben. Gennaro hatte zwar „was von Protesten“ gelesen, „aber daß sie sich hier in neapolitanisches Hinterland auch hertrauen, wo Jagd zur Alltagskultur gehört, hätte ich nicht gedacht“. Da geht es ihm allerdings nicht besser als Hunderttausenden anderer Hubertusjünger, denen Grüne und Umweltschützer aller Arten die Tour vermasseln; auch viele Schulkinder haben mit ihren Eltern den letzten Ferientag zu ei nem harmlos als „Naturbegehung und Fauna–Begutachtung“ deklarierten Wald– und Feldspaziergang genutzt. Gennaro, der „seit Jahrzehnten“ zusammen mit zwei Brüdern, einem Vetter und zwei Schwägern jagt, versteht jedenfalls die Welt nicht mehr. „Um die Zeit hatte ich schon einen ganzen Kübel voll Vögel“, brummt er und zeigt auf einen beachtlichen Eimer - „groß genug, den ganzen verbliebenen Rest einer Vogelart auszurotten“, wie Lehrerin Licia von der nahen Mittelschule kommentiert, der eine Annäherung bis auf 20 Meter an die Waidmänner gelungen war - und die nun mit angelegter Büchse zur Flucht gezwungen wird. Von „Hege“ murmelt Gennaro nun etwas und vom „Ausdünnen“ der Tierwelt, auch von der „schweren Umweltgefährdung durch den Baumabfraß seitens des Wildes und der Vögel“. Doch die zum Beweis vorgezeigten angenagten Baumrinden und abgefressenen Triebe sind, wenig später zeigt es eine durchkommende Herde, Folge von Ziegen– und Schafeinfall: und welche Vogelarten wirklich zu „dicht“ bevölkern, kann unser Gennaro auch nicht sagen - als wenig später ein Kollege fünf erlegte Tiere zeigt, weiß Gennaro nur von zweien die Art, ob sie geschützt sind, ist ihm auch entfallen - „es sind eben Vögel, und davon gibt es zuviele“. Seine Jagdfreunde nicken zustimmend. Es ist das Problem der italienischen Jägerei: sie spielt sich weitgehend fern jeder Kenntnis der Wild– und Vogelarten ab, geballert wird auf alles, was sich bewegt (alle Jahre wieder sind auch Menschenleben zu beklagen). Die Jagderlaubnis ist leicht erhältlich, ist allenfalls an Grundkenntnisse im Umgang mit der Flinte und das Herunterrasseln der Jagdzeiten geknüpft. Konsequenz: mehr als 200 geschützte Vogelarten werden in Italien Jahr für Jahr weiter dezimiert, viele seltene Nagetiere - wie Biber und Otter - geradezu systematisch ausgerottet. Galt die Jagd bis vor wenigen Jahren noch als „pure Selbstverständlichkeit“, wie der nationale Jägerverband lamentiert, so sieht mittlerweile eine wachsende Zahl von Italienern die Jagd als schwere Umweltbedrohung an - als die Grünen und die Umweltschutzverbände das Referendum einleiteten, hatten sie innerhalb von zwei Wochen eine Dreiviertel Million Stimmen zusammen, Umfragen stellen eine Zweidrittelmehrheit für die Einschränkung der Schießerei fest. Das vom Verfassungsgericht aus formalen Gründen ausgesprochene Verbot des Volksentscheids hat die militanten Jagd–Gegner nicht stoppen können - allerdings die wachsende Schar der Anti–Jäger bisher auch nicht die Büchsenspanner–Lobby im Parlament. So stark wie bis vor kurzem ist die Jagd–Verteidigung durch Politiker allerdings auch nicht mehr: Wählerstimmen sind zu verlieren. Gennaro will sich jedenfalls „nicht auf diese Schwächlinge in Rom verlassen“. Für den nächsten Sonntag hat er sich, zusammen mit seinen Verwandten „und noch einigen dazu“ eine Reihe von Gegenmaßnahmen gegen diese „scheinheiligen Trommler“ vorgenommen: „Da kommt uns keiner in die Zone rein. Wer da auch nur einen Kochlöffel mitbringt, dem hauen wir das Ding auf den Arsch, bis es ab ist.“ Die Umweltschützer haben Gennaros wachsende Wut auch so schon zur Kenntnis genommen - nach zwei Schrotsalven gegen eines ihrer geparkten Autos sind sie in sichere Entfernung aufs andere Volturno–Ufer übergewechselt. Doch da, gerade als Gennaro mit seinen Brüdern auf nun ungestörten Beutezug hofft, zeigt sich, daß die Umweltschützer auch auf den Kampf aus der Distanz eingestellt sind - mit Fanfaren aus dem Fußballstadion. Die werden mit Preßluft betrieben und tönen, gegen den Wind, gute vier– bis fünfhundert Meter weit. Da reicht Gennaros Flinte nicht hin, „aber jedes Vieh läuft kilometerweit davon, wenn es das hört.“ Dann bäumt sich noch einmal der Jagd–Instinkt in ihm auf: „Ihr wollt einem wohl auch noch den letzten Rest Lebensfreude nehmen?“ brüllt er hinüber. „Richtig“, tönt es, per Megaphon, vom anderen Ufer zurück, „wenn deine Lebensfreude darin besteht ...“ Gennaro legt die Büchse an, läßt sie dann aber sinken. Einen Augenblick sieht es aus, als wolle er nachdenken. Doch dann hebt er nur die Schultern. Überzeugen kann ihn wohl keiner.