„Monika, die Diskussion ist sehr, sehr schwer“

■ Die sechs Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes wollen gemeinsam die 35–Stunden–Woche erkämpfen / 8.000 bei der Auftaktveranstaltung in Essen / Mitglieder bezweifeln die Durchsetzungsfähigkeit / Steinkühler verspricht Solidarität

Aus Essen Walter Jakobs

„Monika, wer soll die 35–Stunden–Woche durchsetzen? Es sieht nicht rosig aus bei der Müllabfuhr.“ Weil die bei der letzten Tarifrunde 1984 herausgeholten zwei freien Tage pro Jahr nicht zu Neueinstellungen, sondern nur zur Verdichtung der Arbeitsleistung geführt hätten, sei die Diskussion „bei den Kollegen sehr, sehr schwer“. Das, so der Hamburger Müllwerker am Samstag in der Essener Gruga–Halle, „wollte ich Dir mal ganz klar sagen“. Die Angesprochene, Monika Wulf– Mathies, Vorsitzende der ÖTV, wußte da wirklich Mutmachendes auch nicht zu sagen. „Ich weiß, daß sich viele Kollegen über die zwei Tage gefreut haben.“ Gleichwohl, so die ÖTV–Vorsitzende, wisse auch sie, daß in manchen Bereichen die Arbeit „einfach auf die Kollegen abgewälzt wurde“. Dem könne man begegnen, wenn man gemeinsam „mal Sachen liegenläßt, damit deutlich wird, was zu leisten ist und was nicht“. Hatten die prominenten Redner noch Optimismus über die Chancen verbreitet, die Arbeitszeitver kürzung auch durchsetzen zu können, so überwog bei den eine Stunde lang ihre Vorsitzenden befragenden Personalräten und Vertrauensleuten doch die Skepsis, die KollegInnen dafür mobilisieren zu können. In der Gewißheit, daß es in jedem Fall nur gemeinsam geht, hatten alle sechs Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes gemeinsam zu der Auftaktveranstaltung nach Essen geladen. GEW, ÖTV, Postler, Bahngewerkschafter, die Gewerkschaft der Polizei und die öffentlichen Garten– und Forstarbeiter wollen bei der Tarifrunde 1988 das schaffen, was ihnen 1984 nicht glückte, den Einstieg in die 35–Stunden–Woche. Franz Steinkühler, der, wie der DGB–Vorsitzende Ernst Breit, als Gast zu den etwa 8.000 Teilnehmern redete, versprach in seiner Rede Solidarität: „Wir waren gestern nicht allein, Ihr werdet morgen nicht allein sein.“ Daß er namentlich nur die ÖTV erwähnte, war sicher kein Zufall. Am Ende, da hatte der Hamburger Müllwerker schon recht, werden die ÖTVler - und da vor allem die Müllmänner - entscheiden, was durchgesetzt werden kann und was nicht. Kurt van Haaren, der Vorsitzende der Postgewerkschafter, prognostizierte: „Schon jetzt können wir uns an fünf Fingern abzählen, wie in den nächsten Wochen und Monaten gewisse Publizisten und Politiker der gesamten Öffentlichkeit, aber auch unseren Mitgliedern einzureden versuchen, daß Wochenarbeitszeitverkürzung im öffentlichen Dienst unangemessen und total widersinnig sei.“ Nur gemeinsam, so der Postler, könne man den „Vorurteilen“ gegenüber dem öffentlichen Dienst begegnen. Dann müsse man, so Monika Wulf–Mathies mit Blick auf ihre Müllmänner, „aber auch deutlich machen, daß die Lehrer nicht die Geschöpfe sind, die ab mittags ihre Beine hochlegen“. Eine Aussage, die dem GEW–Vorsitzenden Dieter Wunder sichtlich gut tat, denn er hatte dem staunenden Publikum gerade vorgerechnet, daß ein Lehrer, unter Einbeziehung der Ferien, wöchentlich 48 Stunden arbeitet. Diese Lehrer mag es geben, doch den Anwesenden, das war dem Gemurmel im Saal zu entnehmen, waren diese pädagogischen Schwerstarbeiter bisher selten begegnet. Am meisten Applaus bekam während der von Carmen Thomas geleiteten Fragestunde eine Frau, die zwei Jahre Telefondienst in einem Arbeitsamt hinter sich hatte. „Manchmal konnte ich es nicht mehr ertragen, war mit den Nerven am Ende, und dann hätte ich den Anrufenden am liebsten gesagt, nehmt einen dicken Knüppel und fahrt nach Bonn, da sitzen die Verantwortlichen.“ Sie hat es nicht getan, denn „Gewalt ist auch keine Lösung“. Die Argumentationslinie der sechs Gewerkschaftsvorsitzenden nach diesem Beitrag: Gerade weil auf den Arbeitsämtern so viel los ist, brauchen wir die 35–Stunden–Woche nun auch im öffentlichen Dienst. Im Metallbereich wird die vereinbarte Verkürzung auf 37–Stunden sich insgesamt in 200. 000 neuen Arbeitsplätzen niederschlagen. Würde die 35–Studen– Woche im gesamten öffentlichen Dienst umgesetzt, rechnet die ÖTV–Vorsitzende Wulf–Mathies mit 350. 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen. Wer das finanzieren soll? Zunächst müsse die Steuerreform abgeblasen werden, hieß es. Einen originellen Vorschlag steuerte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, E. Lutz, bei. Er will mit 10.000 zusätzlichen Beamten vor allem den Wirtschaftskriminellen an den Kragen. Ein Vorschlag, offenbar nach dem Geschmack der Teilnehmer, wie der Beifall signalisierte.