Polit–Enkel beim Bad in der Jugend

■ 25 Jahre nach de Gaulles Auftritt: Deutsch–französisches Jugendtreffen im Barockschloß Ludwigsburg / Statt 15.000 waren 4.000 Jugendliche zwischen 13 und 70 gekommen / Nur Chirac beherrscht Pose und Sprache seines Großvaters

Von Dietrich Willier

Ludwigsburg (taz) - Mit zahlreichen Bussen waren sie angekarrt worden. Teilweise, so französische Schülerinnen und Schüler, sei ihnen erst auf der Fahrt eröffnet worden, wohin die Reise geht. Als Jugendlicher galt, wer sich so fühlte - auch als feister Endfünfziger im Schwarzwälder Trachtenlook. Die Feier zum 25jährigen Jubiläum der Umarmungsrede des General de Gaulle an die deutsche Jugend im Barockschloß Ludwigsburg war zum Nostalgietreff schwitzender Jugendfunktionäre, patriotischer Trachten und Gesangsvereine und schaler politischer Enkel verkommen. Die „Flammen in den Augen der Jugend“, die de Gaulle vor einem Vierteljahrhundert hier entdeckt hatte, blaken heute trübe vor sich hin. De Gaulles Rede damals, vom deutschen „Volk, das sich in seinem friedlichen Werk, wie auch in den Leiden des Krieges, wahre Schätze an Mut, Disziplin und Organisation entfaltet hat“, war Balsam auf die deutsche Nachkriegsseele und stimmt deutsch– und französische Regierungsenkel noch heute patriotisch und ge rührt. Das Beste an den Reden Jaques Chiracs und Helmut Kohls am Samstag nachmittag im Ludwigsburger Schloßhof, meint eine Gruppe französischer Jugendlicher, sei, daß Chirac wenigstens französisch rede. Monsieur le Premier ministre, hub denn auch Baden–Württembergs Ministerpräsident Lothar Späth seine Rede an, doch weiter kam er nicht, der Rest war frei vom Blatt und deutsch. „Kohl ‘Chirac, dans le meme sac“, hatten Jugendliche auf ein Transparent gemalt, am Rand der Rednertribüne flatterten verloren eine rote und schwarze Fahne. Und wo, vor der Kundgebung, zu Händels Feuerwerkmusik zwischen Popkorn–, Zuckerwatte und Würstchenständen, der kaum halb mit Menschen angefüllte Schloßhof noch ergriffen lauschte, hatte man sich zum Finale mit französischer und deutscher Hymne längst verlaufen. Dabei hatte der französische Premierminister - in Wort, Geste und Pathos ganz General de Gaulle - gerade jetzt, wo sich weltweite Abrüstungsstrategen allmählich näherkommen, durchaus Bemerkenswertes mitzuteilen. Nicht zu Skepsis und Milde, so Chirac, wolle die europäische Jugend beraten sein, den wahren Geist des Friedens nenne man nicht Pazifismus: „Wir wollen weiter uns gehören.“ Und er beschwört den Willen zur Verteidigung, „Gewohnheit und Routine ließen die Energie erschlaffen“. Deutsch– französische Brigaden, so der Premier, gebe es ja schon, „aber warum nicht auch deutsch–französische Brigaden von Freiwilligen für die Kooperation“? Niemand, so Chirac, könne heute sagen, im Osten und Süden nichts Neues, weder Elbe noch Mittelmeer seien geschlossene Grenzen. Aber auch Monsieur Choux, der Bundeskanzler, weiß da einen Beitrag. In der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit habe man beachtliche Fortschritte erreicht. In diesem Jahr habe man begonnen, deutsche und französische Generalstabsoffiziere gemeinsam auszubilden, um Frieden und Freiheit zu schützen. Der Jugend komme da eine entscheidende Rolle zu: „Bitte lernen sie Französisch.“ Die meisten der deutschen Jugendlichen konntens bereits mehr recht als schlecht, im Unter schied zum Kanzler und zum Landesvater Späth. Nur, worüber sie reden, was sie sich mitzuteilen hatten, fand sich nur sehr begrenzt im zweitägigen Programm. Als Zumutung empfanden nicht nur deutsche Jungsozialisten die Eröffnung des Millionenspektakels durch den französischen Erziehungsminister Rene Monory. Mit Pfiffen und Protest erinnerten französische Schülerinnen und Schüler auch hier an den Tod des Pariser Studenten Malek Oussekine als Folge brutaler Polizeieinsätze gegen demonstrierende Schüler und Studenten, im Pariser Herbst vergangenen Jahres. Daß darüber, daß über Fragen des deutschen und französischen Nationalismus, Rassismus, Nationale Front und Le Pen, daß über Fragen friedlicher Kooperation und Abrüstung, über Ökologie und jugendliche Arbeitslosigkeit, daß über ihre Interessen nicht oder nur sehr wenig gesprochen werden konnte, hatte nicht wenige der Jugendlichen schon am Vortag der Jubiläumsgala empört. Erziehungsminister Monory indes deutete den Protest zu seinen Gunsten, Pfiffe, so wußte er aus Rockonzerten, seien auch eine Art Beifall. Franc, ein Theaterfreak aus Colmar, war auch nach Ludwigsburg gekommen, etwas ratlos steht er am Vorabend des Jubelfestes auf dem großen, schmutziggrauen Waschbetonvorplatz der Ludwigsburger Fachhochschule. Hier war in deutsch–französisch gemischten Gruppen und Grüppchen diskutiert worden, Streichorchester, Trachten und Jodelverbände hatten sich ihrer Bräuche versichert. Stimmt das wirklich, fragt Franc, daß Chirac morgen persönlich kommt? Wenn ja, werd ich auch da sein, mit einer Kalaschnikof und einem Mikrofon, und werde schreien - meine erste Demonstration! Am nächsten Tag sitzt Franc ebenso verlassen im Hof des reich geschmückten Ludwigsburger Barockschlosses, die Hymnen sind verklungen, Franc hatte über dem reichlichen Genuß schwäbischen Biers seinen tiefen Groll verschluckt. Die Nacht mit Lichterfest und Feuerwerk im Schloßpark, Cote du Rhone, Blanc de Blanc, Würstchen, Popkorn und Bier verwischte und vermischte deutsch– französische Unterschiedlichkeiten.