Grünes Tasten übers Minenfeld

■ Zurückhaltend diskutierten die Grünen auf ihrer Bundeskonferenz über innerparteilichen Sprengstoff

Nur mit einer knappen Mehrgheit und auch nur gut eineinhalb Stunden lang machte sich die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen am Wochenende in Oldenburg an die mit Spannung erwartete Debatte über innerparteiliche Differenzen und die Konsequenzen aus den Wahlschlappen in Bremen und Schleswig–Holstein. Die eigentlich geplante Diskussion über eine grüne–nahe Stiftung geriet für manchen zum rettenden Anker für das in Seenot geratene grüne Schiff.

Oldenburg (taz) - Die große Schlammschlacht der Strömungen, von manchen, vor allem den Medien, fiebernd erwartet, fand in Oldenburg nicht statt. Als die Bundestagsabgeordnete Antje Vollmer die Versammlung zu Beginn beschwor, sich überhaupt nur mit der Stiftung zu befassen und alle grundsätzlichen Streitpunkte wie „vermintes Gelände“ zu meiden, war es eine hauchdünne Mehrheit von 20 Stimmen der 450 Delegierten, die überhaupt eine Aussprache über die Landtagswahl–Ergebnisse wollte. Die vorherrschende Stimmung in der Weser–Ems–Halle war: Jetzt nicht noch mehr Porzellan zerschlagen, laßt uns wenigstens die Stiftung durchziehen. Dabei waren die Eingangsbeiträge der betroffenen Landesverbände Bremen und Schleswig– Holstein durchaus geeignet, den Perspektiv–Streit der Grünen vom Ballast der Koalitionsfrage zu befreien: „Es ist strömungspolitische Blindheit, unsere Wahlaussage als Schlüssel zum Erfolg zu verkaufen“, sagte Jochen Gries vom Bremer Landesverband. In Bremen habe es gute lokale Kampagnen gegeben, aber bundesweit hätten die Grünen Ausstrahlungskraft und Initiative verloren, in der Null–Lösungsdebatte ebenso wie gegenüber dem Menschenrechtler Blüm. Sein Verbands–Kollege Ralf Fücks: „Bremen war der verspätete Versuch, auf einen rot– grünen Zug aufzuspringen, der schon abgefahren ist.“ Ringen statt anpassen Doch was folgt daraus? Hendrik Auhagen, der einzige harte Realo, der sich in Oldenburg in die Bütt wagte, suchte sein Heil im Sägen am grünen Programm: „Schleswig–Holstein ist die Rache für die Beschlüsse von Hannover, für die Radikalität von oben.“ Wer den Bruch mit dem System wolle, könne keine konstruktive Politik machen. Differenziertere und neue realpolitische Töne fand Bernd Köppl von der AL Berlin: „Wir müssen am Ringen um die Regierungsmacht teilnehmen, aber nicht durch Anpassung.“ Auch wenn die Grünen sich nicht mehr direkt auf Bewegungen stützen könnten, sollten sie deren Anliegen hochhalten. Köppl mag für diejenigen unter den Realos gesprochen haben, bei denen die roten Alarmsignale aufleuchteten, als Joschka Fischer vergangene Woche das grüne Essential vom Sofort–Ausstieg anging. Damit hatte er einen Schritt über den Rubikon gemacht, den auch manche seiner Freunde so nicht mittun wollen. Fischer selber - in Oldenburg von Pfiffen begrüßt - sagte in einer persönlichen Erklärung, er habe „einen Fehler“ gemacht und sei mißverstanden worden: Er halte nicht die Forderung nach dem sofortigen Ausstieg für falsch, sondern die Durchsetzung für irreal. Gleichzeitig heizte er strömungspolitisch nach: „Ideologisch motivierte haarsträubende Fehler“ hätten in Hamburg und Schleswig– Holstein die Chance zum Ausstieg mit der SPD verspielt. Die Delegierten nahmen all dies zur Kenntnis, applaudierten am heftigsten, wenn es irgendwie gegen die Promis ging und wollten ansonsten lieber keine Fortsetzung dieser Debatte. Wenn die Grünen in ihrer Anfangsphase einmal das Motto hatten „Wir sind nicht links, wir sind nicht rechts, wir sind vorn“, so scheint die Basis diese Essenz heute durch „wir sind unten“ variiert zu haben. Es mag sein, daß das unpolitische Abtauchen auch der speziellen Zusammensetzung dieser Versammlung geschuldet ist, zu der manche Kreisverbände eben die speziell Stiftungsinteressierten ohne weiteres Votum geschickt haben. Aber doch frappiert diese Atmosphäre der Stiftungsgeschäftigkeit und Hilflosigkeit in einer Situation, wo es nicht nur im Gebälk der grünen Partei, sondern in ihren Grundfesten kracht. Was auf diesem Parteitag kaum angesprochen wird, räumen die VertreterInnen beider Flügel ansonsten unumwunden ein: Der Streit geht längst nicht mehr um den besseren politischen Durchsetzungsweg, sondern um die Ziele, den Standort, den Charakter dieser Partei. „Heute bieten die Grünen den politischen Spagat, mit dem früher einmal die SPD zu tun hatte“, schreibt das Triumvirat Thomas Ebermann/ Christian Schmidt/ Rainer Trampert in einem Beitrag für Oldenburg über „die tiefe Krise der Grünen“ und benennt einen Katalog gegensätzlicher Positionen, vom Golfkrieg bis zur heimischen Stahlkrise. Dabei dürfte es auch kein Konsens sein, daß die Grünen „jenseits der inhaltlichen Diffenrenzen in die Defensive geraten sind“, wie Joschka Fischer in Oldenburg meinte. Denn er selbst sieht eine „Linksentwicklung in der Bonner Koalition“, Ebermann dagegen eine Rechtsverschiebung im politischen Themenspektrum, dem Teile der Grünen „als fünfter Aufguß von Genscher“ hinterhereilen würden. In Oldenburg hielten sich die Exponenten beider Flügel weitgehend im Hintergrund. Die Realpolitiker setzen auf den Strategiekongreß im Frühjahr, scheiterten allerdings mit ihrem Antrag, daraus einen ordentlichen Parteitag zu machen, wo „Linien“ hätten festgeschrieben werden können. Intern befürchten manche das Abdriften des eigenen Anhangs, wenn das gemeinsame Bindeglied, die Aussichten auf irgendwelche Koalitionen, mittelfristig entfällt. Die Fundis dagegen appellieren an die Partei, den Streit um den künftigen Kurs nicht „bequem und ängstlich“ als Hick–Hack abzutun. Das verminte Gelände harrt der weiteren Detonationen. Charlotte Wiedemann