Ein Urwald wird zur stinkenden Kloake

■ Wenn am brasilianischen Balbina–Staudamm am 30. Oktober die Schleusen geschlossen werden, wird ein Regenwald von der Größe des Saarlandes verfaulen / Die ersten Opfer der ökologischen Katastrophe werden die Eingeborenen sein / Weltweiter Protest gegen den Umweltskandal

Viele Millionen blattloser Urwaldriesen erheben sich aus einer giftig stinkenden, von Seegras überwucherten Brühe. Etliche ragen Dutzende von Metern hoch aus dem Wasser und lassen kaum eine Ahnung von der grünen Pracht, die der Amazonaswald an dieser Stelle bis 1987 dargestellt hat. Andere zeigen nur noch an ihren entlaubten, ausladenden Ästen, wo sich früher ein üppiges Kronendach über das weite, flache Tal des Rio Uatuma spannte. Dieses Bild etwa wird der Stausee von Balbina in einigen Jahren bieten, wenn eine Regenwaldfläche von der Größe des Saarlandes in seinem flachen Wasser abgestorben ist. Die Schleusen am Balbina– Damm sollen am 30. Oktober geschlossen werden. Das volkswirtschaftlich unrentable Großprojekt zerstört nicht nur den Amazonaswald. Auch die Eingeborenenvölker der Waimiri und Atroari sind bedroht. Teurer Strom von Multis billig genutzt 1975 befand die staatliche Elektrizitätsgesellschaft Eletronorte, daß das Wasserkraftpotential des Rio Uatuma in Höhe des Wasserfalls von Balbina eine geeignete Quelle für die Stromversorgung der Urwaldmetropole Manaus sei. Dort produzieren zahlreiche ausländische Montagebetriebe unter attraktiven Steuervergünstigungen für Märkte, die Tausende von Kilometern entfernt sind. Dort entstehen Fernseher von AEG–Telefunken, japanische Radios der Marke National und Honda–Motorräder. Zu den potentesten neuen Investoren gehören Sharp und die Robert Bosch AG. Balbina wird sich, wie auch die gigantischen Wasserkraftprojekte Tucurui und Itaipu, nicht bezahlt machen. Die 12.600 Megawatt–Kapazität von Itaipu bildet auf der Auslandsschuldenrechnung Brasiliens einen Posten von rund 15 Milliarden Dollar, die potentiellen 8.000 Megawatt von Tucurui werden mit sechs bis acht Milliarden Dollar veranschlagt. Fügt der 250–Megawatt–Zwerg Balbina dem Schuldenkonto auch nur knapp eine Milliarde Dollar hinzu, so ist er doch schon Anwärter auf gleich zwei Rekorde: die Kilowattstunde aus Balbina ist mit 4,8 Cents die teuerste des Landes, die aus Tucurui kostet nur 2,05 Cents. Weil der Strom aus diesen Wasserwüsten nicht zu kostendeckenden Preisen verkauft werden kann, bekommen die Großabnehmer erhebliche Preisnachlässe. Das brasilianisch–japanische Aluminiumkonsortium bei Belem bezahlt so nur 1,05 Cents für die Kilowattstunde aus Tucurui. So müssen die Finanzierungslücken dieser Großprojektepolitik durch Kreditaufnahme geschlossen werden. Prominentester Gläubiger ist die Weltbank. Entgegen ihren lautstark erklärten Absichten, die tropischen Regenwälder und ethnischen Minderheiten zu schützen, vergab sie 1986 pauschal 500 Millionen Dollar an die staatliche brasilianische Elektrizitätswirtschaft zur „Sanierung des Energiesektors“ und für das Investitionsprogramm 1986 bis 1989. Weitere 500 Millionen Dollar werden gegenwärtig bei der Weltbank verhandelt. Neben der Weltbank und gewichtigen französischen Kreditgebern, wird die multinationale, insbesondere französische Ausrüstungsindust rie von Balbina profitieren, die Millionenaufträge für Turbinen, Generatoren, Hochspannungsleitungen und Umspannstationen verbuchen konnte. Darüber hinaus ist jeder Dammbau ein mehrere Jahre andauerndes Beschäftigungsprogramm für den exklusiven Kreis gigantischer brasilianischer Betonbauunternehmen. Vorprogrammierte Umweltzerstörung Die ökologische Katastrophe, die das Balbina–Projekt mit sich bringt, ist absehbar. Beispiele für die Folgen von Überflutung von Regenwäldern durch Stauseen gibt es reichlich. 1964 war in Surinam der Damm des Brokopondo– Sees geschlossen worden. 915 Quadratkilometer dichten tropischen Regenwaldes wurden überschwemmt. Die amerikanische Beobachterin Catherine Caufield beschrieb die Folgen: „Als die Bäume verfaulten, produzierten sie Schwefelwasserstoff (Stinkbombengas, HH). Zwei Jahre lang mußten die Kraftwerkarbeiter Gasmasken tragen. Das Wasser wurde saurer und die teuren Ausrüstungen verrosteten. Die Extra kosten wurden auf vier Millionen Dollar geschätzt.“ Von den Rändern aus schloß sich über weite Gebiete von Brokopondo bis hin zur Mitte des Sees ein dichter Teppich von Wasserpflanzen, der nach zwei Jahren 275 Quadratkilometer bedeckte und die Schiffahrt unmöglich machte. Auch in den Stauseen von Yarinacocha (Peru) und Curua–Una (Brasilien) wurden explosionsartige Wucherungen von Seegras beobachtet. Diese Vegetationsdecken werden zu Brutstätten von Malariamücken und Parasiten, die Flußblindheit übertragen. Schwerwiegende Umweltprobleme traten ebenfalls in Tucurui auf, dem Ende 1984 angelegten, bisher größten Stausee im brasilianischen Regenwald. Marga Rosa Rothe, eine Pastorin, die in der Region arbeitet, schilderte im März 1987 die Situation so: „Wer nach Tucurui kommt, der merkt den ganz abscheulichen Gestank dort. Das Wasser stinkt wie eine Jauchegrube. Die Leute, die sich im Tocantins baden, leiden unter Hautkrankheiten. Wir haben ein paar mal Wasseruntersuchungen beantragt. Und da haben uns Leute vom Gesundheitsministerium zugeflüstert: Tucurui ist eine politische Sache.“ Ebensowenig wurden Bodenuntersuchungen gemacht, obwohl „Pflanzen wie Reis und Obstbäume nur 15 Zentimeter groß wurden und dann abstarben“. Während sich in Tucurui das Wasser im Durchschnitt alle anderthalb Monate vollumfänglich erneuert, dauert es in Balbina 11,7 Monate. Es muß also damit gerechnet werden, daß in und um den See von der Größe des Saarlandes herum alle beschriebenen Umweltprobleme in verstärkter Form auftreten werden. Konkret absehbar ist, daß die Überflutung langfristig zu einer Versumpfung des umliegenden Landes im Umkreis von 15 Kilometern führen wird. Der Wald würde dann auf insgesamt 5.000 Quadratkilometer absterben. Umweltschutz als Alibi Die Indianer müssen gehen Doch neben der Sammlung wissenschaftlicher Daten bedeutet dieser „Umweltschutz“ in Balbina kaum mehr als ein Paket von Maßnahmen zur Verringerung der ökologischen Schadenswirkungen auf Turbinen, Schiffahrt, Kraftwerksbetriebe und eventuell Fischereiwirtschaft, in erster Linie also den Schutz des Kraftwerks vor den Reaktionen der zerstörten Flußlandschaft. Düster sieht die Zukunft der Eingeborenen im Projektgebiet aus. Durch den See werden zwei Dörfer der Waimiri–Atroari–Indianer überschwemmt, die Eingeborenen dadurch vertrieben. Beide Gruppen sollen, wie Elektronorte sagt, „angemessen entschädigt“ werden. Doch auf jeden Fall werden sich die Indianer eine neue Heimat suchen müssen, da das Wasser in den umliegenden Flüssen langfristig ungenießbar wird. Die zu befürchtende Versumpfung breiter Streifen entlang des Stausees wird Brutstätten von Mücken und damit Malaria bringen. Die bisherigen Erfahrungen mit brasilianischen Behörden und Eindringlingen lassen wenig Hoffnung für die Zukunft dieser Gruppen: Zählten sie 1905 etwa 6.000 Stammesangehörige, so waren es 1968 immerhin noch 3.000. Ihre Zahl hat sich bereits auf 374 verringert. Wenn die Schleusen am 30. Oktober geschlossen werden, werden es bald null sein.