Die „Landliesel“ geht vor die Hunde

■ Die konservative hessische Landesregierung kappt das rot–grüne Programm zur eigenständigen Regionalentwicklung / Keine unabhängigen Beratung von Landwirten mehr / Bauernverband klagte „Bauernopfer“ ein

Von Klaus–Peter Klingelschmitt

Melsungen/Frankfurt (taz) - An einem schmucken Fachwerkhaus im nordhessischen Melsungen hängt ein blankpoliertes Schild an der Wand: „Verein zur Förderung der eigenständigen Regionalentwicklung in Hessen e.V.“. Der Verein mit dem merkwürdigen Namen, der dort im ersten Stock residiert, ist ein Kind der rot–grünen Koalition, dem jetzt - von der konservativen Wallmann–Regierung - der Hals umgedreht werden soll. Denn eine „eigenständige Entwicklung“ paßt nicht ins Konzept der Wendepolitiker in Wiesbaden. „Das Landwirtschaftsministerium will uns den Geldhahn aus rein ideologischen Gründen abdrehen“, meinte Regionalentwickler Uwe Höger im Gespräch mit der taz. Frei nach dem Motto: „Operation gelungen - Patient tot“ habe ihnen der Staatssekretär Maurer vom Landwirtschaftsministerium mitgeteilt, daß der Verein nicht länger finanziert werde. Denn die eigenständigen Regio nalentwickler, denen die rot– grüne Landesregierung noch einen Jahresetat von 280.000 DM zugestanden hatte, waren durchaus erfolgreich tätig. Drei Männer und zwei Frauen, die sich die vier bis Ende 87 genehmigten Stellen teilen, bereisten in den zurückliegenden zwei Jahren ganz Hessen und berieten Landwirte, die - in ihrer Existenz bedroht - neue Projektideen entwickelt hatten. Im Gegensatz zu den bundesweiten Beratungsangeboten des Bauernverbandes und der Gebietskörperschaften verfolgten die eigenständigen Regionalberater jedoch ein bisher einmaliges Konzept, das inzwischen Interessierte aus der ganzen Republik angelockt hat. Die fünf BeraterInnen fahren direkt zu den Bauern und bieten eine „ganzheitliche Beratung“ an, „von der Idee bis zur Umsetzungsreife“. Dabei legen die eigenständigen Regionalentwickler die sozial– ökologische Meßlatte an die Ideen der Landwirte. Denn nur solche Projekte kamen in den Genuß staatlicher Zuschüsse (50 Investitionssumme), die umweltfreundlichen Produktionsformen entsprachen, energiesparend waren oder einen Beitrag zur Humanisierung der Arbeit– und Lebenswelt auf dem Lande leisteten. Hinter dem Konzept der eigenständigen Regionalentwicklung habe immer auch eine Ideologie gestanden, meinte Regionalentwickler Hubert Weismantel, der die Region Nord–Ost–Hessen betreut: „Wir wollten erreichen, daß der Mehrwert, den die Bauern erwirtschaften, in der Region verbleibt und nicht von Zwischenhändlern und Großstädtern abgeschöpft wird.“ So sind denn auch die Paradepferde des Vereins entsprechend konzipiert. Mit der „Landliesel“ im südhessischen Odenwald, einem Verkaufsfahrzeug, das diversen Landwirten gehört, sind die Regionalentwickler in den Bereich der Direktvermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse vorgestoßen. Weismantel: „Mit der Landliesel, die Frischprodukte in all die kleinen Ortschaften bringt, in denen es keine Lebens mittelgeschäfte mehr gibt, haben wir einen „Hit“ gelandet. Die beteiligten Milchbauern können dank der Einnahmen aus dem Direktverkaufsgeschäft überleben, und die Menschen in den Dörfern sind froh über diese Form der Versorgung im ländllichen Raum.“ Insgesamt 50 Projekte haben die Regionalentwickler so bis zur Entscheidungsreife geführt und damit „einen nicht unwesentlichen Beitrag gegen das Bauernsterben geleistet“, wie Mittelhessen–Beraterin Heike Brandt nicht ohne Stolz erklärte. Das sei auch mit ein Grund dafür gewesen, daß der Verein - in den knapp zwei Jahren seiner Existenz - im ständigen Konflikt mit dem Hessischen Bauernverband gestanden habe, der eine Politik des „Gesundschrumpfens“ in der Landwirtschaft verfolge. In wirtschaftliche Schwierigkeiten geratene Höfe sollten - nach Auffassung des Bauernverbandes - lieber schließen, damit die anderen überleben könnten. Heike Brandt: „Bei einem solchen Politikansatz waren wir dem Bauernverband natürlich immer ein Dorn im Auge.“ Entsprechend forderte Bauernverbandspräsident Westernacher sofort nach dem Machtwechsel in Wiesbaden von Wallmann ein „Bauernopfer“: Auflösung des Vereins für eigenständige Regionalentwicklung in Melsungen und Übertragung seiner Aufgaben an die Landwirtschaftsverwaltung. Und da die neue Landwirtschaftsministerin Irmgard Reichhardt vom Hofgut Ringelshausen vor ihrem Eintritt in das Wallmann–Kabinett Mitglied im Präsidium des Deutschen und des Hessischen Bauernverbandes war, werde die Forderung von Bauernverbandspräsident Westernacher jetzt zügig umgesetzt. Ein hoffnungsvoller Ansatz für die Verwirklichung anderer Lebens– und Produktionsformen auf dem Lande gehe so vor die Hunde, meinten die Regionalentwickler abschließend. Die bis dato parteilose Landwirtschaftsministerin Reichhardt trat übrigens vor Wochenfrist in die CDU ein: Eine Hand wäscht eben in der Politik noch immer die andere.