Schlampige Nähte in Rausch und Roben

■ Beim „10. Durchlauf“ lockten die im Off inzwischen ziemlich gut situierten Mode–Designer zur Geldverschwendung / Der Trend winkt den Sixties, den Yuppies, dem Knittrigen und Kantigen - und natürlich Gorbi

Aus Berlin Connie Kolb

Das legere Flohmarkt–Ambiente des ICC Berlin barg Daheim–sein– Feeling. Anläßlich der 10. Off–Line–Modemesse bewachten von Donnerstag bis Montag prä–etablierte Frisch–Mode–Designer aus Berlin, der Bundesrepublik, verschiedenen Teilen Europas und Polen ihre kreativen Kollektionen. Am Freitag abend drängten sich in– und extrovertierte Modenarren, um zwölf Mark erleichtert, an 186 Ständen, wo die Jung– und Ewig–Designer sich in der Ecke ihrer Terrains bei Alkohol, Maniküre und Schwätzchen langweilten - nebenbei noch geringschätzende und blasierte Blicke verteilten - und sich nachträglich über den Quadratmeterpreis von 80 DM (zuzgl. 14 legalem Zugriff Zigaretten LORD extra bereit, um zu zeigen, wer gesponsort hatte. Die „Off Line“, einstmals avantgardistische und experimentelle Mode–Messe, lockte dieses Mal sogar Konsumenten aus konformen Reihen. Sinn und Zweck war, die grundlos teuren und teilweise mit schlechten Nähten versehenen Fummel loszuwerden, die überwiegend als „Unikate“ deklariert waren. So hat der Sowjet–Glasnost– Trend auch hier in Form von wollenen Glockenmänteln mit Persianerkragen, Zarenkappen und wehenden Anna–Karenina–Kleidern zugeschlagen. Genauso akut und nicht mehr wegzudenken sind die Machwerke aus den 60er Jahren, man denke an die formlosen, kastigen, körperignorierenden Mäntel oder taillenkurzen Kostümjäckchen. Richtig schräge Kostümstylings sowie positivistische Farbenpracht, etwa die handbemalten, wattierten Seidenflatter– Mäntel der Wienerin Claudia Appel–Rothe oder die flippigen Flower–Power–Stücke vom Kreuzberger „Soie et Coton“–Laden waren dagegen Seltenheit. Modebewußte Männer versinken unter kleiderschrankbreiten Mänteln, ein breitgeschultertes Anzug– Sakko bringt noch jeden Drei–Tage–Bart zur Geltung. Niederschmetternde Töne wie Lodengrün, Terracotta–Rot und Tümpelbraun (bis ins Schwarz ab triftende) verführten zum Ziehen und Zerren an den Stangen. Der Yuppie will die schlichte Eleganz im faden Mausgrau einfach nicht mehr missen. Um sich aber eine der en–vogue–Einzelfertigungen zuzumuten, bedurfte es eines überdurchschnittlich gefüllten Portemonnaies und einer unterdurchschnittlich genährten Statur. Wer sich schon nicht in der Lage sah, die unbezahlbaren Fummel zu erstehen, konnte ersatzweise auf Objekte fürs nackte Dekollete, die Ohren, Finger, den Arm oder Kopf zurückgreifen. Doch auch hier inflationäre Methoden: Irgendwo im Off lauerte ein Hairstylist auf Unschuldige, denen er für zehn Mark die Haare mit Farbspray bejauchte. Tiefgründiger ging es bei Ursula Hellmer–Kempers „Farb– und Stilberatung“ zu. Für lasche 110 DM erfuhr man seine „subjektiven Farben“, die „zum Wohlbefinden und Selbstvertrauen“ beitragen, aus fremdem Mund. Für weitere 20 DM bekam man einen persönlichen Farbpaß mit auf den Weg. Gegen halb elf stieg dann die Aussteller–Modenschau, für deren Inszenierung eigens der polnische Choreograph Janusz Jozefowicz engagiert wurde. Mitgebrachte polnische Models, Tänzerinnen und Schauspielerinnen führten die Modelle vor, die an der Stange nicht wirkten. Gertenschlanke, schön und grell geschminkte Damen bewegten die reichlich ungebügelten, also knittrigen Einfälle souverän über den Steg. Trotzdem wehte ein penetranter Hauch von Luxus, heterosexuellen Anmach–Gesten wie aus der Parfum–Werbung und laszivem Augenaufschlag durch den Raum. Bewundern konnte man klassische und sportliche Ensembles im Mini–, Medi– und Maxi–Look aus Flanell, Lack, Lurex und Organza. Diese Materialien waren zu gerafften Schößchen über dem Hintern, gebauschten Ballonröcken oder mit umständlichen Knopfleisten verarbeitet und sind nicht für die Freizeit gedacht. Und überall schwebten die Väter Lagerfeld, Montana, Yamamoto, Kenzo und wie sie alle heißen in der Atmosphäre. Verdienten Beifall bekamen diejenigen, die ihre Kollektion in kleine Szenen setzten. Die eckigen geometrischen Formen der Modemacherin DEUS aus Berlin hätte im Mittelalter noch jede Patrizierfamilie eingekleidet. Zum ultrabrutalen Heavy–Metall–Gekreische von AC/DC schickte „Schwarze Moden“ aus Berlin Latex– und Lederunterwäsche im strengsten Domina–Design aufs Parkett. Minu ten vorher hatte mir die Boutique– Besitzerin, im Corsagenkleid aus Tauchergummi–Material und mit beperlter Nase, versichert, nur die ersten 30 Minuten sei die Transpiration unangenehm - danach hätte man sich daran gewöhnt. Als Geheimtip könnten die zartpastellen verspielten Kleidchen einer Designerin gehandelt werden, der die Zeit fehlte, die Spitzenrüschen richtig anzunähen. Die fegten deshalb bei der Präsentation praktischerweise den Boden, während die Models als jungfernhafte Elfen im Valium–Schritt das passende Outfit zur keuschen, gesundheitsbewußten Ära einläuteten. Inspirativstes Fazit: Diejenigen, die statt Geld wenigstens Talent in den Händen halten, werden zu Hause den faden Carina– Schnittbögen den letzten eigenen Wut–Schrei verpassen.