Lobby abgeschlagen

■ Die ÖTV legt sich auf den Atom–Ausstieg fest

Die Gewerkschaft ÖTV will offensichtlich wieder auf einen Kurs zurückkehren, der seit dem Austiegsvotum des DGB–Bundeskongresses im Mai letzten Jahres geltende Beschlußlage in den deutschen Gewerkschaften ist. Mit dem, was nun dem ÖTV–Vorstand zur Entschließung vorliegt, ist die zweitgrößte Gewerkschaft im DGB noch einmal haarscharf an der Gefahr vorbeigeschlittert, von einer kleinen aber politisch durchsetzungsfähigen Truppe von Atomlobbyisten in den eigenen Reihen ins Schlepptau genommen zu werden. Offensichtlich hat die Vorsitzende der ÖTV, Monika Wulf–Mathies, intern in den Diskussionsprozeß um den Atom–Ausstieg eingegriffen. Zwei Motive standen dabei im Vordergrund: Einmal drohte die ÖTV ihre schon traditionelle Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen Einzelgewerkschaften des DGB durch eine allzudeutlich vorgetragene Pro–Atomkraft–Politik zu verlieren. Zum zweiten hat eine heftige innergewerkschaftliche Debatte in den letzten Monaten gezeigt, daß der im Juli vorgelegte Bericht der ÖTV–Ausstiegskommission nichts mit der Meinungsbildung der Mitgliedermehrheit zu tun hat. Mit diesem Beschluß sind auch die letzten Unsicherheiten über die Anfang Oktober anstehende Stellungnahme des DGB–Bundesvorstandes zum Atom–Ausstieg beseitigt. Der DGB wird am Ausstiegsbeschluß vom Mai 86 festhalten und ihn konkretisieren. Das atompolitische Rollback im DGB ist vorerst gescheitert. Das bedeutet jedoch keineswegs, daß nun alle Einzelgewerkschaften gemeinsam auf die möglichst schnelle Abschaltung der Atomkraftwerke drängen werden. Im Zweifel ist immer noch die Beschlußlage das eine, die konkrete, machbare Poltik das andere. Martin Kempe