Jugoslawiens KP in der Krise

■ Am 50. Jahrestag der Wahl des ehemaligen Staatschefs Tito zum Parteiführer ist das Erbe des Staatsgründers verspielt / „Wir brauchen keinen Gorbatschow, wir brauchen Demokratie“

Berlin (taz) - Vor zehn Jahren sang er noch stolz über das Partisanenblut in seinen Adern. Wohin Djordje Balasevic in Jugoslawien mit seinen patriotischen Liedern auch kam, Beifall war ihm gewiß. Auch heute tritt er nur vor vollen Sälen auf. Doch diesmal erntet er Ovationen, wenn er die Regierung ein „Blasorchester alter Greise“ nennt, „in dem keiner auf den anderen hört und jeder seine eigene Melodie spielt“. Und völlig begeistert sind die Menschen, wenn der einstige „Liebling der Partei“ den Refrain anstimmt: „Jetzt weiß ich, das alte Orchester hatte noch nie von nichts ne Ahnung“. Die politische Stimmung in Jugoslawien hat sich geändert. War es noch Ende der siebziger Jahre eine Ehre, Mitlied im „Bund der Kommunisten“ zu sein, und sah der legendäre Parteichef Tito damals noch die Gefahr, die Partei könne durch den großen Zulauf den „Avantgardecharakter als Vorhut der Arbeiterklasse“ verlieren, laufen den politischen Er ben des 1980 Verstorbenen heute die Mitglieder davon. Seit Koca Popovic, Kommandant der I. Partisanenarmee während des II. Weltkriegs 1984 sein Parteibuch demonstrativ zurückgab, sind Massenaustritte an der Tagesordnung. Manche erregen landesweites Aufsehen, wie der des Juristen Tihomir Zivkovic, der schlicht seine Mitgliedsbeiträge seit 1962 zurückforderte. Die Parteimitgliedschaft, so der Jurist, sei ein Vertragsverhältnis, und das habe die Partei gebrochen, weil sie ihr eigenes Programm nicht verwirklicht hat. Anstatt zum Fortschritt des Landes beizutragen, habe sie es in eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Katastrophe geführt. Und dieses Argument wird gerade heute, am 50. Jahrestag der Ernennung von Jozip Broz, genannt Tito, zum Führer der damals illegalen Kommunistischen Partei, so manche Feier überschatten. Denn die Hoffnung, an das Charisma der alles überragenden Persönlichkeit des alten Führers anzuknüpfen, wird sich trotz allen Pomps für die jetzige Führung kaum erfüllen. Schon verblaßt die Lebensleistung dieses Mannes, weil alle Probleme Jugoslawiens, die er gelöst zu haben schien, heute wieder aufgetreten sind. War es Tito noch gelungen, die nationalistischen Antagonismen im Vielvölkerstaat zurückzudrängen, so steht heute die von ihm geschaffene „Sozialistische Föderative Republik“ vor fast unlösbaren Problemen. Die Konflikte zwischen Albanern, Serben, Kroaten, Montenegriern und Slowenen treten wieder verstärkt hervor. War Titos Versuch, gegen Stalins Willen einen „eigenen Weg zum Sozialismus“ zu beschreiten, mit dem Modell der „Selbstverwaltung“ zu seinen Lebzeiten scheinbar von Erfolg gekrönt, so stehen seine Nachfolger heute fast vor einem Scherbenhaufen. Die Verfassung des Staates ist zu sehr auf eine Persönlichkeit ausgelegt, die über allen Widersprüchen thront und ab und zu ein Machtwort spricht. Seit seinem Tode wurde zwar versucht, durch eine „Kollektive Führung“ - dem achtköpfigen Staatspräsidium - und einem Rotationsprinzip für den Ministerpräsidenten ein neues Machtgleichgewicht zu schaffen, doch zeigte sich bald, daß diese Konstruktion zu kompliziert angelegt ist. Die Verfassung der Föderation ist mit 400 Paragraphen die umfangreichste der Welt und kann gerade noch mit dem „Gesetz über die assoziierte Arbeit“ konkurrieren, das über 671 Paragraphen verfügt. Der Kompetenzwirrwarr und die widersprechenden Interpretationen der Gesetze lassen kaum noch Handlungsmöglichkeiten für die Zentrale zu. Konkurrierende wirtschaftliche, soziale und regionale Interessen finden nicht mehr die Tribüne, sich angemessen Geltung zu verschaffen. Korruption und Vetternwirtschaft unterminieren das System. Auch die „Arbeiterselbstverwaltung“ hängt in der Luft. Die Arbeiter haben seit 1978 zwar formell ein volles Mitspracherecht in den Betrieben, und die Betriebe eine Autonomie gegenüber den zentralen Wirtschaftsinstitutionen, doch für die meisten Beschäftigten hat sich das kaum gelohnt. Mit einer Inflation von lateinamerikanischen Ausmaßen, über 100 Prozent, und sinkenden Reallöhnen wird ihnen das Modell verleidet. An den Machtstrukturen hätte sich sowieso kaum etwas verändert, heißt es in der Bevölkerung. Auch die Reformen Gorbatschows bringen da kaum Hoffnung. „Was der sowjetische Parteichef anstrebt, wurde bei uns schon in den sechziger Jahren verwirklicht. Wir brauchen keinen Gorbatschow, wir wollen Demokratie“, meint der bekannte Oppositionelle Pavlo Imsirovic. Die meisten Jugoslawen interessiert vielleicht noch mehr, daß die Lohntüte nicht noch dünner wird. er