Labbrig wie Toastbrot

Frühjahr 1984, in einem südwalisischen Bergarbeiterdorf während des großen einjährigen Streiks: Die Familie Jones versammelt sich zum Frühstück im Wohnzimmer. Es gibt labbrige Toasts und „baked beans“ aus der Dose und - Breakfast TV. „Good Morning Britain“ schallts ab 7 Uhr morgens aus der Kiste. Begeistert singen Jane (5) und Bob (7) die Müsli–Commercials für Kelloggs Cornflakes mit. Sie kennen fast alle der morgendlichen Werbespots auswendig. Kinder als Zielgruppe - das war mit Sicherheit einer der Gründe für den Beginn des Frühstücksfernsehens in Großbritannien. Doch auch Vater Terry liebt die frühmorgendliche Berieselung. „Ohne Breakfast TV“, so sagt der beschäftigungslose Kumpel, „wäre ich in den zehn Monaten Streik sonst wahnsinnig geworden. Das lenkt ab.“ Das Frühstücksfernsehen soll „zu gleichen Teilen interessieren, informieren und Ablenken“ heißt es dazu wörtlich im Programmauftrag der lizensierenden Aufsichtsbehörde IBA. Das „Breakfast TV“ ist ein voller Erfolg in Großbritannien. Acht Mio. schauen jeden Morgen zwischen Rasur und Good Bye–Küßchen, im Morgenmantel mit der Bratpfanne hantierend oder in Erwartung langweiliger Schulstunden in die bunte Röhre. Was sich ihnen da neben den Nachrichtensendungen bietet, ist eine frisch–fromm–fröhliche Version des eigenen, meist nur schlampig aufgeräumten Wohnzimmers, in dem sich „Personalities“ aus Sport, Unterhaltung und Politik in unverschämt guter Laune herumtummeln. Gemütlich und volksnah darf munter durcheinandergequasselt werden, jegliche Form krampfhaft– dummer Fröhlichkeit ist erlaubt, solange es die veschlafene Nation televisionär aus den Federn holt. Strittig war die Gründung des Frühstücksfernsehens vor vier Jahren kaum. Die Logik der kommerziellen Sender verlangte nach mehr Raum für die Werbung, die öffentlich–rechtliche BBC mußte das Rennen darum mitaufnehmen. „Bei uns“, so eine BBC–Sprecherin, „gabs mit dem Breakfast TV nie Probleme.“ Beim konkurrierenden „TV–am“ (Vormittagsfernsehen) des Privatfernsehens ITV dagegen erforderte der komplexere, kommerzielle Aufbau der Anstalt eine ganze Reihe von Veränderungen und organisatorischen Anpassungen, bevor TV–am im Jahr 1985/86 einen Profit von 3.75 Mio. Pfund (über zehn Mio. DM) erwirtschaften konnte. Aufsichtsräte und Programmgestalter kamen und gingen, Moderatoren wurden gefeuert, Versicherungen und Zeitungskonzerne veränderten oder veräußerten ihre Anteile. Als TV–am aber dann im Juli 1986 an die Börse ging, waren die Zeiten, als seine Miete an die Aufsichtsbehörde gestundet werden mußte, längst vergessen. Die Aktienausgabe war um das elffache übersubskribiert. Frühstücksfernsehen gehört heute längst zum festen TV–Alltag Großbritanniens. Seine TalkmasterInnen gehören zu den populärsten Figuren des öffentlichen Lebens. Seit einigen Wochen gibts auf dem vierten Kanal Spätfilme bis fünf Uhr morgens, internationale Weltnachrichten um 5.30 Uhr. „Good Morning Britain“ mag dann für viele Zuschauer einem „Gute Nacht Großbritannien“ gleichkommen. Rolf Paasch