Unerwünschte Wähler unter uns

■ Das kommunale Ausländerwahlrecht bleibt in der BRD ein rotes Tuch / Positive Erfahrungen im Ausland

Hamburg (taz) - Niemand war in Hamburg recht darauf vorbereitet, als Ende Juli aus den Koalitionsverhandlungen durchsickerte: Hamburg wird als erstes Bundesland das kommunale Wahlrecht für Ausländer einführen. So rasch das kommunale Wahlrecht aus der Taufe gehoben war, so schwammig ist es im Koalitionspapier von SPD und FDP formuliert: „Ausländischen Mitbürgern ist die Chance der Integration unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit stärker als bisher zu eröffnen. Sie sollen daher nach einem legalen, ununterbrochenen Aufenthalt von mindestens acht Jahren in Hamburg das Wahlrecht zu den Bezirksversammlungen erhalten.“ „Natürlich ist damit sowohl das aktive als auch das passive Wahlrecht gemeint, sonst hätten wir es extra erwähnt“, interpretiert der zweite Bürgermeister, Staatsrechtler Ingo von Münch (FDP), diese Übereinkunft. Dennoch bleiben Fragen. Wie eng ist „ununterbrochener Aufenthalt“ gefaßt? Müssen Ausländer die ganze Zeit ausschließlich in Hamburg gewesen sein? Werden Ausländerparteien zugelassen? Die politische Willensbekundung ist zwar eindeutig, aber bei Lichte besehen recht mager, denn Ausländer bekommen damit ein Wahlrecht für ein relativ einflußloses parlamentarisches Gremium. Wahlrecht ohne Folgen Die Aktiven in der Immigrantenarbeit der Hansestadt weisen vor allem auf die beschränkten Kompetenzen hin, die die bundesweit einmalige Konstruktion hamburgischer Bezirksversammlungen aufweist. Rechtsanwalt Rolf Geffken, GAL–Bezirksabgeordneter in der Grünen–Hochburg Eimsbüttel: „Die Bezirksversammlungen sind keine Körperschaften, die mit kommunalen Befugnissen ausgestattet sind.“ Mit Ausnahme eines Taschengeldes (“Sondermittel“) verfügen sie über keinerlei Haushaltskompetenzen. Sie dürfen dem hanseatischen Senat Vorschläge unterbreiten, „doch der streicht zusammen“, wie Geffken aus Erfahrung weiß. Hamburgs Bezirke also sind mit anderen bundesrepublikanischen Kommunen nicht zu vergleichen. Die Wahl der Bürgerschaft ist auch künftig Sache der in Hamburg lebenden Deutschen. So hielt sich in der Hansestadt der Jubel über das neue Recht für Ausländer auch in Grenzen. Eine Erklärung, die etwa 50 Gruppen und Organisationen unterschrieben haben, die seit langer Zeit zugunsten von Flüchtlingen und Immigranten tätig sind, nimmt die Absicht der Koalition lediglich „mit Interesse zur Kenntnis“. Signalwirkung erhofft Begeistert über das anvisierte kommunale Wahlrecht sind allerdings das sozialdemokratisch orientierte „Bündnis türkischer Einwanderer“ um Hakki Keskin , SPD–nahe Verbände wie die Arbeiterwohlfahrt, der DGB, etliche Einzelgewerkschaften sowie die Kirchen. Sie erhoffen sich durch die Einführung dieses für Hamburg sehr beschränkten Wahlrechts v.a. eine Signalwirkung auf die ganze Bundesrepublik. Bundesweit haben Sozialdemokraten die Absicht der Hamburger Koalitionäre begrüßt. Klaus Wedemeier in Bremen und Björn Engholm in Schleswig–Holstein versprachen denn auch im Fall eines Wahlsieges ihrer Partei die Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer auch in ihren Bundesländern. Namhafte Freidemokraten wiederum sprachen von „Irrweg“ (Burkhard Hirsch), „Gefährdung des Friedens“ (bayrischer FDP–Chef Brunner), „politischem Irrweg“ (Justizminister Engelhard), aber auch „bin sehr froh“ (Hildegard Hamm–Brücher). Die hamburgische CDU ist mit Argumenten von: „Die Ausländer wollen gar nicht wählen“, bis zum staatsmännischen: „Das muß gleichzeitig europaweit eingeführt werden“, strikt dagegen. Fraktionsvize Fridjof Kelber befürchtet darüber hinaus, daß „die Ausländergruppen hier untereinander ihre Konflikte austragen“. Die Christdemokraten haben bereits angekündigt, was auch viele SPD– und FDP–Mitglieder insgeheim wünschen: die Einführung des Ausländerwahlrechts über den Gang zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe zu verhindern. Sie stellten darauf ab, wahlberechtigt könnten nach Artikel20 Grundgesetz nur Deutsche sein. Eine Position, die unter Juristen - bezogen auf das kommunale Wahlrecht - zunehmend weniger Anhänger findet. Im März 1986 entschied das Oberverwaltungsgericht Lüneburg, der Einführung des kommunalen Wahlrechts für Ausländer in Niedersachsen stünden keine grundsätzlichen Bedenken entgegen. Die Mehrheit der Ausländer würde SPD wählen Bisher hatte in Hamburg die regierende SPD die Einführung des Ausländerwahlrechts immer wieder hinausgeschoben, gegen den Willen ihrer Landesparteitage, die seit 1980 regelmäßig, wenn auch manchmal mit knappen Mehrheiten, seine Einführung beschlossen hatten. Diesmal nun soll es Nägel mit Köpfen geben. Das ist nicht zuletzt dem agilen FDPler von Münch zu verdanken, der die Sozialdemokraten in der Sommerpause durch offensive Medienarbeit austrickste. Seine freidemokratische Basis dankt ihm dieses Vorpreschen nicht unbedingt. Der Hamburger Sozialwissenschaftler Hannes Alpheis befragte vor drei Jahren fast 1.800 Türken und Jugoslawen in Hamburg nach ihrem eventuellen Wahlverhalten. 75 Prozent würden ihre Stimme der SPD geben, 17 Prozent der GAL, knappe fünf Prozent der CDU, und die FDP blieb unter zwei Prozent. Reiner Scholz