: Was anderswo selbstverständlich ist
Berlin (taz) - Berlins Regierender Bürgermeister Diepgen wußte es am Mittwoch in seiner Begrüßungsansprache zur „Woche des ausländischen Mitbürgers“ schon ganz genau: Das kommunale Wahlrecht für Ausländer leiste einer „Separierung“ derer vorschub, die man doch integrieren wolle. Und Berlins Innensenator Kewenig hatte eine Woche zuvor in einem Diskussionspapier sogar drohend gewarnt, ein Ausländerwahlrecht bedeute eine das gesamte gesellschaftliche Klima belastende politische Polarisierung und Radikalisierung. Woher die beiden CDU–Politiker ihr Wissen über die schlimmen Folgen eines Ausländerwahl rechts hatten, sagten sie allerdings nicht. Und sie hätten die Quelle ihrer Erkenntnis auch schwerlich verraten können, weil es sie schlichtweg nicht gibt. Denn sämtliche Erfahrungen, die in den skandinavischen Ländern und den Niederlanden mit dem kommunalen Ausländerwahlrecht gemacht wurden, belegen genau das Gegenteil von dem, was Politiker hierzulande regelmäßig ins Felde führen, wenn es um die minimalste politische Mitentscheidung von Immigranten geht. Skandinavien und die Niederlande haben zwar eine andere demokratische Tradition als die Bundesrepublik und in ihrer Geschichte bislang eine größere Toleranz gegenüber Minderheiten gezeigt, die Erfahrungen machen aber dennoch deutlich, wie es auch gehen kann. Sie zeigen auch, daß das kommunale Wahlrecht bei weitem kein Durchbruch ist, der die Diskriminierung von Immigranten aufhebt. Aber es kann ein politisches Signal nach außen sein und für Ausländer ein Schritt hin zu mehr Selbstbewußtsein. Wahlbeteiligung sinkt In Dänemark, wo 1980 eine links– liberale Parlamentsmehrheit das kommunale Ausländerwahlrecht durchgesetzt hat, ist dieses Recht heute kein Diskussionsthema mehr. Es ist ganz einfach selbst verständlich. Das Nachbarland Schweden hatte schon fünf Jahre zuvor den bei uns immer noch so umstrittenen Schritt zur Selbstverständlichkeit erklärt. Seit 1975 können in Schweden alle Ausländer über 18 Jahre, die seit mindestens drei Jahren ununterbrochen dort leben, die Regional– und Lokalparlamente mitwählen und auch für einen Parlamentssitz kandidieren. Die Wahlbeteiligung der Immigranten liegt dabei weitaus niedriger als die ihrer schwedischen Nachbarn und ist in den letzten Jahren sogar kontinuierlich gesunken. 1976, bei der ersten Wahl, zu der auch Ausländer ihren Stimmzettel abgeben durften, be teiligten sich 60 Prozent der Immigranten und Flüchtlinge. Drei Jahre später waren es nur noch 53 Prozent, und 1985 sank die Wahlbeteiligung auf 48,1 Prozent. Das sinkende Interesse an parlamentarischer Mitbestimmung mag unter anderem daran liegen, daß Ausländer nur geringe Chancen hatten, ihre Vertreter auch in die Parlamente wählen zu lassen. Regierung wirbt um Ausländerwahlrecht Ähnliche Erfahrungen gibt es auch in den Niederlanden, wo man heute über die Diskussion in der Bundesrepublik nur den Kopf schüttelt. In Holland wurde Mitte der 70er Jahre im Zuge der Diskussion um die spektakuläre Kaperung eines Eisenbahn–Zuges durch eine Gruppe von Molukkern das kommunale Wahlrecht für Ausländer und ethnische Minderheiten wie die Surinamer und Molukker eingeführt - gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung, wie später Meinungsumfragen bewiesen. Umgerechnet mehrere Millionen Mark stellte damals die niederländische Regierung für Fernsehspots und Informationsmaterial zur Verfügung, um die Immigranten zur Wahlbeteiligung, aber auch zur Integration in die bestehenden Parteien zu motivieren. Wissenschaftliche Untersuchungen über Wahlverhalten, Wahlhindernisse und die Einstellung der niederländischen Bevölkerung begleiteten das Experiment, und im Gegensatz noch zu den 70er Jahren befürwortet heute eine überwiegende Mehrheit der Niederländer diesen Schritt. Die Parteien haben die Immigranten ohnehin längst als zusätzliches Wählerpotential erkannt und - mit Ausnahme der christlich–konservativen Partei - einigen wenigen „Renommierausländern“ auch vordere Listenplätze zugestanden. Wahlberechtigt sind alle Ausländer, die seit fünf Jahren in den Niederlanden leben und eine feste Arbeit haben. Einen Sonderstatus, der die Diskussion in der Bundesrepublik besonders absurd erscheinen läßt, hat die Stadt Amsterdam vor Jahren beschlossen. Dort dürfen sich alle Personen, das heißt eben auch alle Ausländer, die sechs Wochen vor den Wahlen in den Melderegistern eingetragen waren, an den Wahlen zu den 16 neu geschaffenen Gemeinderäten beteiligen. Wo in Hamburg schon ein kommunales Wahlrecht mit achtjähriger Anwartszeit einen Sturm im Wasserglas und eine Verfassungsbeschwerde auslöst, reicht in Amsterdam ein schlichter Eintrag im Melderegister, um Ausländer in einem lokalen Gremium mitbestimmen zu lassen, das sogar größere Kompetenzen hat als die Hamburger Bezirksparlamente. Ausländer werden ernst genommen Bei den bisherigen Kommunalwahlen zeigten die verschiedenen Nationalitäten ein sehr unterschiedliches Interesse an diesem Mitentscheidungsrecht. Mit 65 Prozent lag die Wahlbeteiligung bei den türkischen Immigranten bisher am höchsten. Am wenigsten beteiligten sich die Marokkaner, die durch massive Drohungen der marokkanischen Regierung vom Gang zur Urne abgeschreckt worden waren. Profitiert haben von dem Ausländerwahlrecht vor allem die niederländischen Sozialdemokraten. Eigenständige Migrantenblöcke, die vor allem mit Unterstützung eines Bündnisses der linken Parteien eigene Kandidaten aufgestellt hatten, konnten sich nur in ganz wenigen Fällen durchsetzen. Ausländer, so eine der Erfahrungen in den Niederlanden, wählen zwar „ihre“ Kandidaten, doch die können sich angesichts des Listengerangels in den Parteien nur selten nach vorn durchkämpfen. Entscheidender als die tatsächliche Präsenz von Ausländern in den Kommunalparlamenten ist deshalb vielleicht auch die politische Klimaverbesserung, zu der das kommunale Wahlrecht in den Niederlanden beigetragen hat. Die Entscheidungsbefugnisse einzelner Ausländer in den Kommunalparlamenten sind weiterhin gering, aber in dem Maße, in dem Immigranten dadurch als politischer Faktor ernst genommen wurden, folgten andere Maßnahmen wie ein Ausländeraktionsprogramm in Amsterdam, Maßnahmen in der Gesundheitsversorgung und Wohnungspolitik und Beschlüsse wie der eines Amsterdamer Gemeinderats, von dem man bei uns nur träumen kann: Dort nämlich sollen Firmen so lange nicht bei öffentlichen Aufträgen berücksichtigt werden, wie sie Immigranten und ethnische Minderheiten nicht entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung eingestellt haben. Vera Gaserow
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