Die Union will sich zusammenraufen

■ Beim heutigen „Gipfeltreffen“ von Kohl und Strauß sollen Wunden geleckt und Auswege gesucht werden / Bundestagsfraktion will Streit bremsen / Geißlers „Lagertheorie“ steht auf dem Spiel

Aus Bonn Oliver Tolmein

Wenn heute im Kanzleramt die Mannschaften (Frauen sind nicht dabei) von CDU und CSU aufeinandertreffen, wird selbst das Amt des Gesprächsvorsitzenden geteilt. Einerseits gibt es die formal perfekte Vorbereitung des Gesprächs, andererseits eine bewußt diffuse Beschreibung von dessen Ziel: Man wolle ein „Stimmungsgespräch“ führen, da in Sachfragen weitgehend Einigkeit herrsche, verlautete aus der CDU. Beides zusammen zeigt die höchst gespannte Situation zwischen den Schwesterparteien. Zwar wird der Gesprächsfaden nicht reißen, aber die Beharrlichkeit, mit der die verschiedenen Fraktionen ihre Positionen zu behaupten versuchen, zeigt, daß auch eine dauerhafte Entspannung so schnell nicht eintreten wird. Blessuren haben alle Beteiligten hinnehmen müssen. Vor allem direkt nach den massiven Stimmverlusten bei der Schleswig–Holstein–Wahl hat Bundeskanzler Kohl sich auf sein Parteivorsitzendenamt besonnen und Generalsekretär Geißler vor den Kopf gestoßen, indem er ihn an der Wahlanalyse–Pressekonferenz einfach nicht beteiligte und sich gegen die „überflüssige Strategiediskussion“ gewandt hat. Strauß, der seine Dauerattacken gegen die Strategieplanung des Konrad– Adenauer–Hauses am letzten Wochenende mit einem persönlichen Tiefschlag gegen Kohl variierte, der keinen „Kanzlerbonus“ habe, zog sich damit den Zorn des gesamten CDU–Präsidiums zu: „Wer in der Union die Autorität des Bundeskanzlers und der Regierung fortdauernd öffentlich in Frage stellt, setzt sich dem Verdacht aus, daß er den Erfolg dieser Bundesregierung und des Bundeskanzlers nicht will“, tönte es von dort. Jenseits dieser Spitzen gibt es aber auch vermittelnde Zwischentöne, vor allem aus der gemeinsamen Bundestagsfraktion, deren CSUler weit genug von Bayern entfernt sind, um wenigstens indirekt einen anderen Kurs als Strauß zu favorisieren, und deren CDU– Mitglieder ebenfalls andere Positionen als die Konrad–Adenauer– Haus–Strategen vertreten. Von Theo Waigel, dem CSU–Landesgruppenchef, kommt daher im mer wieder das Bemühen um Gespräche zwischen Strauß und Kohl, der Fraktionsvorsitzende Dregger versucht unterdessen, konsensfähige inhaltliche Positionen zu formulieren, die von denen Geißlers allerdings abweichen. Die Union, so Dregger, bestehe aus drei unverzichtbar zum christlichen Weltbild zugehörigen Elementen: dem „christlich–sozialen, dem ordo–liberalen Element und dem konservativ–nationalen Element“. Daß diese Initiativen aber kaum zu einer Milderung des Streits führen, dokumentiert, wie gering der Einfluß der Fraktion im Vergleich zur Regierung einerseits und den Parteizentralen andererseits ist. Über den Einfluß, den die Kursbestimmungen aus dem Konrad– Adenauer–Haus mittelfristig auf die aktuelle Unionspolitik haben werden, ist allerdings derzeit auch noch nicht entschieden. Eine ganz wesentliche Rolle dafür wird der Ausgang des Schleswig–Holstein– Debakels spielen. Läuft hier die FDP letztlich doch zur SPD über, kann die Situation für Geißler dramatisch werden. Denn mit einer zweiten SPD/FDP–Koalition im Norden bräche die umstrittene Lagertheorie, nach der auf der einen Seite die schwarz–liberale Koalition als Block, auf der anderen das rot–grüne Spektrum steht, gänzlich in sich zusammen. Der Unionskurs gegenüber einer sich selbstständig machenden FDP müßte neu bestimmt werden. Geißler müßte aber auch in seiner Funktion als CDU–Generalsekretär etlichen Verlust an Einfluß hinnehmen, wenn es ihm nicht gelingt, eine akzeptable Krisenlösung für den CDU–Landesverband zu konzipieren. Und mit noch zwei weiteren Unbekannten müssen die Adenauer–Haus–Strategen, die trotz ihrer realpolitischen Erfolge in Sachen Pershing 1 A oder Menschenrechtskampagne schon lange nicht mehr so alleine dastanden wie jetzt, rechnen. Strauß hat sich in den Auseinandersetzungen derart exponiert, daß ihm Zugeständnisse, und sei es der Verzicht auf die Wortschöpfung „Lagertheorie“, gemacht werden müssen. Kohl will im Vorfeld des Parteitags im November, auf dem seine Wiederwahl ansteht, offensichtlich Geißler, der sich selbst gerne als „Geschäftsführender Vorsitzender“ sieht, ins zweite Glied schicken, um sein eigenes Profil als Vorsitzender klarer erscheinen zu lassen. In der CDU–Geschäftsstelle wird aber dennoch gehofft, daß Kohl sich nach erfolgter Wiederwahl wieder stärker aus der Parteiarbeit heraushalten wird.