K O M M E N T A R Barschel dreht ab

■ Parlamentarisches Tauziehen oder Neuwahlen?

Bis zuletzt schien es auf Messers Schneide. Den Erklärungen des nun endlich abgehalfterten Ministerpräsidenten von Schleswig–Holstein, Barschel, in den vergangenen Tagen war Hochmut und eine gehörige Portion selbstsicherer Arroganz wie Ignoranz anzumerken. Das Bonner Bollwerk im Rücken, glaubte Barschel sich wie ein Ostsee–Aal durchs Waterkantgate durchschlängeln zu können. Doch der Wettlauf gegen die Zeit war nicht zu gewinnen. Die Uhr lief seit dem Tage ab, als ein Mann namens Pfeiffer seine obskuren Geschäfte in der Staatskanzlei aufgenommen hatte. Bis zuletzt wollte Barschel dies verwischen und weder sich noch der Öffentlichkeit eingestehen, daß sein Schicksal mit dem seines Verpfeif(f)ers aufs Engste verflochten war. Deshalb bleibt der Fall Barschel auch ein Fall für die Gerichte und Staatsanwälte. Sie müssen klären, was an seinem „Ehrenwort“ dran ist, er habe von allem nichts gewußt. Dabei blieb er schließlich auch gestern und inszenierte sich zu allem Überfluß auch noch als reiner Moralist, der er nach allem, was bekannt geworden ist, nicht sein kann. Sein Rücktritt auf Raten wird nicht als selbstausgestellter Persilschein in die Geschichte eingehen, sondern in die Reihe der zähesten und unehrenhaftesten Abgänge eines bundesdeutschen Politikers aufgenommen werden. Dehalb bleibt festzuhalten: Politiker, die noch in der Stunde der Bedrängnis Größe bewahren, sind hierzulande Mangelware geworden. Die zweite Garnitur sieht nur den Machterhalt und sich selbst, setzt auf Augen zu und durch. Es ist zu befürchten, daß dies auch für die CDU–Fraktion im Kieler Landtag gilt. Sie hat keine Gelegenheit ausgelassen, ihrem Ministerpräsidenten immer wieder das Vertrauen auszusprechen, auch wenn er es für den ein oder anderen Abgeordneten längst verspielt hatte. Dieser Art von Fraktionsräson müßten die christdemokratischen Vertreter erst einmal abschwören, wenn sie wieder politikfähig werden wollten. Das können sie am besten aus der Opposition heraus. Parlamentarisch wäre es das Schlimmste, wenn diese CDU mit Hilfe der FDP weiter in der Lage bliebe, die Regierung zu stellen. Die Fraktion war auf Machterhalt und Sicherung ihrer Pfründe aus, nicht auf Klärung und Kontrolle, wie es ihre Pflicht gewesen wäre. Schon das Wahlergebnis war eine Quittung dafür. Es ist schon recht, nach der Stunde der Presse jetzt von der Stunde des Parlaments zu reden. Natürlicher Anwärter für die Verwaltung der Landesgeschäfte ist gewiß die stärkste Fraktion, sind die Sozialdemokraten. Der kleine Haken: Der Zipfel zur Mehrheit fehlt ihnen nach wie vor. Mancher unter den Genossen mag jetzt an das „Berliner Modell“ denken, bei dem die Freidemokraten nach dreijähriger Tolerierungsschonfrist für die CDU 1983 offen zum Regierungspartner avancierten. Dies wäre ganz im Sinne Vogels und der Bonner Baracke, die ihrem Traum von glücklichen sozialliberalen Zeiten nach wie vor anhängen. Mit der Existenz des SSW spricht aber auch viel für das, was unter dem Begriff der wechselnden Mehrheiten seit kurzem grünen Denkmodellen entspricht, allerdings unter Ausschluß der Grünen. Noch drängen die Verhältnisse nicht zu Neuwahlen, weil die parlamentarischen Kombinationen nicht ausgereizt sind. An einer großen Koalition kann indes zuletzt die SPD ein Interesse haben. Wenn also die FDP weiter am Rockzipfel der CDU hängenbleibt, erst dann wären Neuwahlen unumgänglich. Das wäre die Chance der Grünen. Sie könnten jetzt beweisen, daß Oldenburg nur eine Stadt in Schleswig–Holstein ist und nicht ein Markstein auf der andauernden grünen Talfahrt ins politische Aus. Kieler Signale gegen das neu–grüne Sektierertum würden auch im baden–württembergischen Konstanz nicht ungehört verhallen. Benedict M.Mülder