Der Eiertanz auf dem Atom

■ SPD–Landesregierung in Nordrhein–Westfalen hält trotz günstigen Ausstiegsgutachtens an der Kernenergie fest / Prognos–Studie errechnet erheblichen Arbeitsplatzgewinn für den Ausstiegsfall

Von Johannes Nitschmann

Düsseldorf (taz) - Der Ausstieg aus der Atomenergie ist nach einem von der nordrhein–westfälischen Landesregierung in Auftrag gegebenen Energiegutachten innerhalb der nächsten zehn bis 15 Jahre, spätestens aber bis zum Jahr 2020 „volkswirtschaftlich, energietechnisch, ökologisch und beschäftigungspolitisch“ möglich. Dennoch strebt die Regierung Rau keinen „isolierten Ausstieg“ für das bevölkerungsreichste Bundesland an; sie billigt der Atomenergie vielmehr „eine Übergangszeit“ im Rahmen eines nationalen Energiekonsenses. Bei der Vorstellung des „Prognos“–Gutachtens machte Wirtschaftsminister Reimut Jochimsen (SPD) am Freitag vor Journalisten in Düsseldorf deutlich, daß es einen „isolierten Ausstieg“ Nordrhein–Westfalens aus der Atomenergie nicht geben werde. Einen von der Düsseldorfer SPD– Landtagsfraktion bereits Mitte vergangenen Jahres von der Landesregierung geforderten „zeitlichen Stufenplan“, nach dem die Atommeiler an Rhein und Ruhr „Zug um Zug“ abgeschaltet werden sollen, lehnte der Wirtschaftsminister entschieden ab. In ihrem 78seitigen Bericht zur Bewertung des „Prognos“–Gutachtens vertritt die SPD–Landesregierung die Auffassung, daß die Atomenergie unter gewissen Voraussetzungen im Rahmen eines nationalen Energiekonsenses aller Parteien als Übergangstechnologie geduldet und gebilligt werden müsse. Jochimsen macht deutlich, daß er für einen Atomenergie–Ausstieg ohne sozialdemokratische Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat selbst mittelfristig keine realistische Chance sehe. Das Baseler „Prognos“–Institut kommt in seiner Studie zu dem Ergebnis, daß bei „konsequenter Strom– und Brennstoffeinsparung, gleichzeitigen Ausbaus der Kraft–Wärme–Kopplung und flankierender Nutzung verbesserter Kraftwerkstechnolgien ein Ersatz der Atomenergie bis um die Jahrhundertwende energietechnisch und volkswirtschaftlich günstig erreicht“ werden könne. Bei konsequenter Verfolgung der von „Prognos“ entwickelten Gesamtstrategie verbleibt letzlich eine Kernenergie–Lücke in der Gesamtstromversorgung von sechs Prozent, die nach Auffassung der SPD–Landesregierung längerfristig durch den Zubau konventioneller Kraftwerke geschlossen werden müßte. Die unmittelbaren Auswirkungen eines Atomenergieverzichts auf die volkswirtschaftliche Wachstums– und Beschäftigungssituation sind nach dem Ergebnis dieser Studie „angesichts der inzwischen wesentlich geringer eingeschätzten Strompreiseffekte geringer als in den Untersuchungen der letzten Jahre zunächst abgeschätzt wurde“. In der aktuellen „Prognos“–Untersuchung wird mit einem Beschäftigungsverlust von rund 30.000 Arbeitsplätzen in der Atomstromindustrie kalkuliert, denen allerdings ein erheblicher Arbeitsplatzgewinn gegenübersteht. So erwartet das Baseler Institut alleine im Aufbau der Nah– und Fernwärmeversorgung einen zusätzlichen Arbeitskräftebedarf von 70.000 Beschäftigten. Insgesamt geht „Prognos“ von einem um netto 90.000 bis 125.000 Arbeitsplätze gesteigerten Beschäftigungsniveau in der Bundesrepublik aus.