SDI - Angriffswaffe der dritten Art

■ Im vierten Teil der taz–Rüstungsserie begründet der norwegische Friedensforscher Johan Galtung, warum die Supermächte jetzt bereit sind, die Mittelstreckenraketen abzubauen: Atomwaffen der ersten und zweiten Generation sind veraltet. Neue Bomben übernehmen ihre Funktion

taz: Herr Prof. Galtung, nach Jahren des Nicht–Dialogs sitzen die USA und die Sowjetunion erstmals wieder mit einigen Erfolgsaussichten am Verhandlungstisch. Warum? Johan Galtung: Man ist immer bereit, Waffensysteme abzuschaffen, wenn es neue Waffensysteme gibt. Die beiden Supermächte sind überzeugt, daß die Nuklearwaffen, also die Uran– und Plutoniumwaffen, aber auch die Wasserstoffbombe, heute überholt sind. Jetzt geht es um den Krieg der Sterne (Star Wars) mit Laser– und Partikelstrahlen. Darüber wird bei den Verhandlungen nicht diskutiert. Man diskutiert heute in den USA, aber auch in Europa zum Teil nur, ob diese Waffen defensiv funktionieren. Das ist meiner Meinung nach eine falsche Problemstellung. Die richtige Frage heißt: Handelt es sich um neue Offensivwaffen? Die Zeitschrift Scientific American spricht in ihrer April–Ausgabe von Nuklearwaffen der dritten Generation. Mit dadurch erzeugten Microwellen kann man eine große Oberfläche der Erde karbonisieren. ..das heißt verbrennen? Es heißt eigentlich mehr als verbrennen, verbrennen ohne Flamme. Es wird alles unmittelbar schwarz, es gibt keine Flamme, denn es geht zu schnell. Wie groß sind die Schäden? Man redet zum Beispiel davon, eine Stadt von der Größe von Washington D.C. mit einem Schlag zu verbrennen. Dann kann man natürlich mehrere Satelliten im All stationieren mit denselben Aufgaben für andere Gebiete. Wer arbeitet an diesen Waffen? Es ist relativ klar, daß die USA diese Waffen schon haben und ich glaube, daß die Russen sie auch besitzen. Haben Sie Beweise bezüglich der Russen? Beweise hat man wohl nur im Pentagon, glaube ich. Diese Sachen sind so heiß, daß man sehr wenig darüber redet. In den USA ist es zum Beispiel fast tabu, über die offensiven Möglichkeiten der Laserwaffen zu reden. Diskutiert wird nur über die defensive Möglichkeit... oder Unmöglichkeit. Es ist fast unmöglich, mit Laserwaffen eine Rakete zu treffen, welche sich in viele kleine Einzelteile aufspaltet, die sich dann mit zwölffacher Schallgeschwindigkeit nähern. Aber die offensive Möglichkeit von Star Wars ist ganz klar. Diese Anwendung ist viel einfacher. Und welche Indizien sprechen dafür, daß die Russen diese Waffen besitzen? Die Russen haben in den siebziger Jahren sehr gute Laserforschung gemacht, dann Anfang der achtziger Jahre wurde alles ganz still, man hat nie mehr davon gehört. Es gab auch keine Publikationen in den wissenschaftlichen Magazinen mehr. Es scheint klar zu sein, daß die Russen Anfang der siebziger Jahre voraus waren. Mit welchen Absichten geforscht wurde, weiß ich nicht, aber hier läuft jetzt der eigentliche Wettlauf und die Genfer Verhandlungen sind Schattenfechterei. Weshalb wird die Entwicklung der Laserwaffen derart vorangetrieben? Laserwaffen haben gegenüber den Nuklearwaffen vier klare Vorteile. 1. Sie verursachen keine Radioaktivität, also keinen Tschernobyl–Effekt. Heute sind die Nuklearwaffen ja eigentlich selbstabschreckend, denn man weiß, daß selbst derjenige, der mit einem Nuklearangriff Erfolg hat und den anderen ganz lahmlegt, von der Radioaktivität selbst getroffen wird. Diese Selbstschädigung wirkt selbstabschreckend. 2. Laserwaffen erzeugen keinen nuklearen Winter. Es gibt zwar Feuer am Rande des karbonisierten Gebietes, und es könnte vielleicht einen kleinen Laserwinter geben, aber keinen nuklearen Winter. 3. Laserwaffen sind sehr viel zielgenauer als Atomwaffen. Man kann sich heute Laserwaffen vorstellen, die so genau sind, daß sie einen einzelnen Menschen aus dem All zielgenau töten können. Ist das nicht unglaublich? Das klingt ganz unglaublich, aber es scheint, daß es möglich ist, es gibt somit zwei verschiedene Möglichkeiten: Von der flächenweisen Karbonisierung bis zur Zerstörung von ganz kleinen Punkten. Die Atombombe kann zwar auch zielgenau sein im Zentrum, wo sie niedergeht, aber sie zerstört zu viele Sachen. Die A– Bombe ist politisch unmöglich geworden, weil man zerstört, was man erobern möchte. 4. Der vierte Vorteil der Laserwaffen besteht darin, daß es keine Vorwarnung gibt. Die Atom–Raketen bewegen sich ja langsam. Sie brauchen eine halbe Stunde von einem Kontinent bis zum anderen. Laserstrahlen wirken mit Lichtgeschwindigkeit. Es gibt keine Vorwarnzeiten mehr. Sie kommen wie Gottes Strafe vom All. Daß die USA den Krieg der Sterne anstreben, ist ja allgemein bekannt. Daß die UdSSR dies anstrebt, ist neu, zumindest paßt es nicht in die Rhetorik des Ostens. Nein! Es ist nicht allgemein bekannt, daß die USA den Krieg der Sterne als Offensivkrieg konzipieren. Ich habe die Debatte in Europa ganz genau verfolgt und es wird immer nur darüber gespro chen, ob Star Wars für Westeuropa defensiv wirken könnte oder nicht. Über die Offensivmöglichkeiten wird nicht diskutiert. Ob die Russen wirklich imstande sind, das heute zu tun, weiß ich nicht. Ich vermute es jedoch. Deswegen sind sie willig und bereit, über die Abschaffung von Nuklearwaffen zu reden. Es gibt auch nach der Abschaffung der Mittelstreckenraketen immer noch eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Welt nuklear zu zerstören... Das ist klar! - mit den klassischen Nuklearwaffen. Die Energie einer Nuklearexplosion kann sehr unterschiedlich genutzt werden. Die Nuklearenergie wurde anfangs ungefähr wie Schießpulver eingeschätzt, also baute man eine Bombe. Und die ersten Atombomben Fat Man und Little Boy sahen genauso aus wie klassische TNT–Bomben. Heute aber bewegt man sich auf einem ganz anderen Feld: Es ist noch Nuklearenergie, aber es werden Strahlen und Partikel über Satelliten eingesetzt. Diese Laserstrahlen kann man auch chemisch, mit Deuterium (Wasserstoff) und Fluor herstellen, es braucht dazu nicht unbedingt Nuklearenergie. Daraus ergibt sich eine phantastische Menge Energie. Wenn diese gebündelt wird, entsteht der gleiche Effekt. Wie werden die Drittländer, zum Beispiel Europa, Japan oder die Dritte Welt, reagieren? Wenn die Drittländer merken, daß es nicht mehr um Nuklearwaffen geht, werden sie versuchen, aufzuholen. Die Supermächte selber haben aber ein Interesse daran, sich friedliebend zu zeigen. Sie möchten gerne Propaganda der eigenen Bevölkerung und der anderen Bevölkerung gegenüber machen. Es gibt meiner Meinung nach sehr viele naive Leute in der Friedensbewegung, die glauben, daß mit dem Abkommen eine Lösung gefunden wurde. Aber in Westeuropa gibt es starke Interessen, eine Nuklearmacht zu werden. Und man wird diese Chance ausnützen und sagen: Seht Ihr, unsere Schutzmacht, die USA, haben uns im Stich gelassen, jetzt brauchen wir eigene Nuklearwaffen. Wessen Verdienst ist die Abrüstungsrunde, das der Friedensbewegung? Ja. Teilweise. Und nicht nur das der Friedensbewegung im Westen, sondern auch der im Osten. Letztere ist meistens unbekannt. Stephan Heim hat etwas außerordentlich Gutes gesagt: Wenn im Westen eine Friedensdemonstration 100.000 Personen hat, dann kommen nur Polizisten und fast keine Journalisten. Bei 200.000 kommen die Journalisten. Bei 300.000 kommt das Fernsehen. Aber wenn es auf dem Alexanderplatz in Ostberlin einen Demonstranten gibt, dann entsteht schon Panik. Bei zwei Demonstranten kommt die Polizei. Bei drei Demonstranten wird man bereits ausgebürgert, und bei vier Demonstranten wird ein Politbüromitglied gefeuert. Die Friedensbewegung im Osten ist zwar klein, aber sehr wirkungsvoll. Wohin geht die neue Stoßrichtung der Friedensbewegung? Greenpeace hat nun eine Kampagne gegen Atom–U–Boote gestartet. Sie muß aufpassen, keine Fehler zu machen. Das heißt, Reagans strategische Verteidigungsinitiative (SDI) nicht zu unterstützen? Wer SDI sagt, ist bereits darauf hereingefallen. Denn ich nenne sie SOI, die Strategic Offense Initiative, um es klarzumachen. Ich möchte ein Beispiel aus der Geschichte nennen: 1963 hat man einen Atomteststopp vereinbart und die Friedensbewegung war damals sehr begeistert davon. Doch es war ein Phyrrussieg, denn das Pentagon verlagerte die Versuche lediglich unter die Erde, und entwickelte die neuen Waffen, die uns jetzt bedrohen. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen SOI und der Rolle des Militärs in einer Supermacht, der es wirtschaftlich immer schlechter geht? Ist SOI ein neues Machtinstrument für die USA? Die USA haben viel von ihrem politischen Einfluß in der Welt verloren. So wurden zum Beispiel im August in Guatemala Reagans Friedensvorschläge für Mittelamerika überhaupt nicht diskutiert. Eine solche Eigenständigkeit wäre früher undenkbar gewesen, außerdem gibt es jetzt neue Kraftzentren in der Welt, zum Beispiel den Islam. Vor zwanzig Jahren hat man hier überhaupt nicht über den Islam geredet. Es gab nur ganz wenige Menschen, die wußten, daß dort etwas vor sich geht. Ähnliche Kraftzentren entwickeln sich in Südostasien. Wenn es so weitergeht, dann sehen die USA im Militärapparat vielleicht die einzige Möglichkeit, den Weltmachtstatus aufrecht zu erhalten. Erhöht die Entwicklung die Aggressionsbereitschaft der USA? Möglich. Ich glaube aber, daß sie sich das eigentlich gar nicht wünschen. Sie wollen eine endgültige Waffe, um der Welt zu beweisen, daß sie die Nummer Eins sind. Die US–Amerikaner haben das Sendungsbewußtsein, von Gott ausgewählt zu sein (Gods own country). Das gibt ihnen nicht nur das Recht, sondern die Verpflichtung Nummer Eins zu sein. Außerdem prägt das ihr Verständnis von einer Friedensordnung. Sie haben keine Friedensbegriffe, sondern nur einen Begriff: Daß Amerika die leitende Rolle spielt. Und dies findet man selbst in der US–amerikanischen Linken, sie möchten zwar ein anderes Amerika, aber immer noch in der leitenden Rolle. Reagan hat es sehr schön gesagt, als man ihn in einem Interview fragte: Was wünschen Sie eigentlich von Nicaragua? Er hat gesagt: The only thing I want is that the Sandinistas shall say uncle - Ich will nur, daß sie uncle sagen. Johan Galtung, 1930 in Oslo/Norwegen geboren, lehrt zur Zeit an der Universität Princeton im US–Bundesstaat New Jersey. Galtung ist Professor für Friedens– und Konfliktforschung und Sozialwissenschaften. Seine neueste Publikation in Deutsch: Hitlerismus, Stalinismus, Reaganismus. Nomos–Verlag 1987 Interview: Rudolf Rechsteiner