Nordgrüne zwischen Lethargie und Sektierertum

■ Die schleswig–holsteinischen Grünen sind in ihren politischen Debatten immer noch mit den Gründen für die Wahlschlappe beschäftigt Zur Barschelaffäre etwas zu sagen, ist „sehr schwierig“ / Taktische Vorschläge von der Rotgrün–Koalition bis zum Pakt mit der DKP

Aus Kiel Max Thomas Mehr

Wenn man in Kiel auf die Grünen zu sprechen kommt, wird des öfteren eine Geschichte erzählt, die symptomatisch zu sein scheint für die Schleswig–Holstein–Grünen. Es ist die Geschichte vom langsam wegfaulenden Gebiß eines ihrer Landtagskandidaten. Seit einem halben Jahr, so die Legende, müßte der zum Zahnarzt. Statt sich seine faulen Zähne jedoch endlich ziehen zu lassen, pumpt sich jener Grüne Tag für Tag mit Anti–Biotika und Beruhigungspillen voll. Mit der Ideologie des Kieler Landesverbands der Ökopax–Partei verhält es sich wie mit den Zähnen besagten Grünen–Politikers. In dieses Bild paßt auch, daß die Landesvorstandssitzung der Grünen auch 14 Tage nach der Wahlniederlage noch hinter verschlossenen Türen stattfand. Man will unter sich bleiben und offenbar so weitermachen wie bisher. Barschels Rücktritt und mögliche Neuwahlen lösen deshalb bei den Kieler Grünen auch kein politisches Fieber aus. Man pflegt lieber den internen Streit ums Grundsätzliche. Am kommenden Wochenende soll nun erstmals seit der Wahlniederlage eine erweiterte Landeshauptausschußsitzung der Grünen stattfinden, mit dem Ziel, eine „möglichst breit angelegte Debatte“ über den Wahlausgang zu ermöglichen. Eingeladen sind neben den Delegierten auch alle interessierten Mitglieder. Statt sich in die Tagespolitik einzumischen, hinkt die Grüne Partei also hinter der Zeit her. Auf insgesamt 26 Seiten Strategiepapieren, bis auf eines allesamt in den letzten zwei Wochen verfaßt, steht kein einziger Satz über die Folgen der CDU– Affäre, aber sehr viele über die Frage, ob nun die Wahlniederlage eine „hausgemachte Katastrophe“ sei oder ab sie der objektiven politischen Situation entspreche. Der Landesvorstand bemühe sich zwar, meint Lars Hennings, der den Realos zuzurechnende Landtagskandidat auf Platz zwei, „das notwendige zu Barschel zu sagen, aber es ist schwierig“. Die Grünen, von der Organisation her mehrheitlich fundamentalistisch geprägt, bieten in diesen Wochen ein bizzares Bild im Schatten des politischen Geschehens. In einem vom Landesvorstand mit knapper Mehrheit befürworteten Papier müssen im wesentlichen äußere Faktoren für das schlechte Abschneiden der Partei herhalten. So habe die SPD das Kunststück vollbracht, „die sozialliberale Koalition in einer Weise zu versprechen, die den Wählern offenbar glaubwürdig erschien“. Der SPD sei es „extrem leicht gemacht“ worden, „inhaltlich in die Offensive zu kommen und die Grünen aus dem Landtag herauszuhalten“. Letztlich ist in diesen Einschätzungen vor allem die SPD daran schuld, daß die Grünen sich nicht in den Landtag einreihen konnten. Sicherlich werden auch organisatorische Mängel eingestanden, soll das Wahlkampfmaterial zu spät vor Ort eingetroffen sein, aber mit politischer Kritik hat das alles wenig zu tun. Die Realos sind in ihren Einschätzungen da schon politischer. So schreibt Hennings in einem Papier: „Vielen gilt die Koalitionsfrage als Ursache, sowie die Entlarvungspolitik gegenüber der SPD. Sie werden bündnispolitisch nun recht bekommen, analytisch will ich - ein letztes Mal - dagegen halten. Mit einer festen Bündnisaussage in SH von Grünen und SPD, wie in Hessen (!), wäre es kaum möglich gewesen, den konservativen Block unter 50 Prozent zu drücken.“ Aus dem Scheitern des von ihm einst befürworteten, letztlich nicht vermittelten Tolerierungsbeschlusses, mit dem die Grünen in den Wahlkampf gegan gen waren, zieht er in seinem Papier die Konsequenz: „Nur mit der erklärten Bereitschaft zur Koalition können die Grünen künftig propagandistisch ihre Bündnisbereitschaft zur SPD erkennbar machen.“ Hennings sieht das Heil der Grünen keinesfalls darin, lediglich Korrektiv der SPD zu sein: „Gerade weil in Schleswig–Holstein sich die Grünen gegenüber einer fortschrittlichen SPD behaupten müssen, ist hier die Chance, die dazu nötige Programmatik links davon zu entwickeln und zugleich Bündnisfähigkeit, vielleicht modellhaft für die Bundesgrünen.“ Nico Sönnichen, Kreisgeschäftsführer in der Realo–Hochburg Kiel, schreibt in einem weiteren Papier, es sei bezeichnend, „daß ausgerechnet dem funda mentalistisch geprägten Landesverband“ es nicht gelungen sein, „sich programmatisch links von der SPD profilieren zu können“. Scharf geht Sönnichen mit einem Zeitungskommentar von drei Fundis zu Gericht, von denen einer im Landesvorstand der Partei sitzt und die anderen letztlich rund um die Uhr Parteiarbeit machen. Nach der Niederlage hatten sie zu Überlegungen aufgefordert, „ein neues Linksbündnis“ anzustreben. Bestehen sollte es, so die Fundis, aus Grünen und der DKP–nahen Friedensliste. Sönnichen dazu: „Das gesellschaftliche Projekt Die Grünen, so scheint es, wird von den Fundamentalisten für historisch überholt gehalten und müssen daher durch einen neues Linksprojekt ersetzt werden. Das wäre das Ende der Grünen.“ Den Grünen im Norden stehen stürmische Zeiten ins Haus, dann zumindest, wenn es zu Neuwahlen kommen sollte, haben sie keine Zeit für ausufernde Ideologiedebatten. Sönnichsen fordert folgerichtig „eine schnelle und gründliche Klärung mit dem Ergebnis eindeutiger Aussagen, um aus Neuwahlen nicht als neue Sekte hervorzugehen“. Die Akzente müssen, so der Grüne, vor allem so gesetzt werden, daß die 1,1 Prozent, die ihnen zum Einzug ins Landesparlament fehlen, innerhalb des rot–grünen Lagers umverteilt würden auf die Grünen. Denn seit dem 13. September hat das rot–grüne Lager genug Stimmen für die absolute Mehrheit. Nur nützt das real–politisch nichts, sitzen CDU/FDP weiter im, wenn auch angesägten, Regierungssessel.