Die erste Garde tritt erst gar nicht an

■ Die Demokratische Partei hat Schwierigkeiten bei der Kandidatensuche für die Wahlen im November 1988 / Immer längere, immer teurere und immer gnadenlosere Wahlkampagnen lassen vielen Politikern die Lust an der Präsidentschaftsbewerbung vergehen

Aus Washington Stefan Schaaf

Noch sind es mehr als 400 Tage bis zu den nächsten US–Präsidentschaftswahlen, doch in der Demokratischen Partei wächst die Torschlußpanik. Wird 1988 das Jahr der verpaßten Chancen? Seit Gary Hart im Mai von seinem Favoritenthron im Rennen um die Nominierung der Partei stürzte, wurde in den Medien über die „sieben Zwerge“ gewitzelt, die sich da für das Weiße Haus bewerben. Als Zwerge erschienen sie in den Umfragen, die die Bekanntheit der Politiker erkunden sollten, und klein war vor allem die Zahl derer, die sich das eine oder andere Mitglied dieses Septetts als Präsidenten vorstellen konnten. War es bei Gary Hart das lockere Verhältnis zum weiblichen Geschlecht, das ihn aus dem Rennen warf, so wurde Joe Biden, der in der vergangenen Woche ausstieg, der lockere Umgang mit geistigem Eigentum zum Verhängnis. Wort für Wort hatte er eine dramatische Wahlkampfrede des britischen Labour–Führers Kinnock nachgeplappert, während er in Iowa um Stimmen warb; obendrein hatte er vor zwei Jahrzehnten, im Jurastudium, aus einer Fachzeitschrift abgekupfert, ohne die entsprechenden Fußnoten zu machen. Da warens nur noch sechs: Bruce Babbitt, Ex–Gouverneur von Arizona, Michael Dukakis, Gouverneur von Massachusetts, der Kongreßabgeordnete Richard Gephardt aus Missouri, die Senatoren Paul Simon (Illinois) und Albert Gore (Tennessee) und Jesse Jackson, Bürgerrechtler, Predi ger und Chef der „Rainbow Coalition“. „Oh je“, schrieben die Kolumnisten, „du liebe Güte“, jammerten die „Political Analysts“, eine Spezies von Polit–Schmarotzern, deren ganzes Glück darin besteht, einen Satz in den Abendnachrichten sagen zu dürfen. Das kann doch nicht alles gewesen sein, womit die Demokraten den Sturm aufs Weiße Haus antreten werden? Fünf ehrgeizige und aalglatte Politicos, die außerhalb ihres heimatlichen Bundesstaats niemand kennt, und vorneweg ein schwarzer Bürgerschreck? Mit dem Verzicht der liberalen Kongreßabgeordneten Patricia Schroeder auf eine Kandidatur ist an diesem Wochenende eine der letzten Chancen verflossen, das demokratische Feld um etwas politische Substanz anzureichern. Schroeder hatte enthusiastische Unterstützung von Frauen und einige Zustimmung vom liberalen Flügel der Partei geerntet, seit sie vor Monaten laut über eine Kandidatur nachzudenken begonnen hatte. Sie nannte gute und nachvollziehbare Gründe, vor einer monatelangen, auszehrenden Kampagne zurückzuschrecken. Das Nominierungssystem sei so „isolierend“, daß sie ihren politischen Stil nicht damit vereinbaren könne, obendrein könne sie die Aussicht nicht ertragen, aus jedem menschlichen Kontakt ein Motiv für Pressefotografen machen zu müssen. Außerdem hatte sie schon vor Wochen gesagt „No dough, no go“ (ohne Knete gehts nicht los); doch statt der erhofften drei Millionen Dollar brachte sie nur die Hälfte auf - nicht genug Startkapital im Land der Multimillionenfeldzüge, wo schon ein Senatssitz durchschnittlich zwei Millionen kostet. Kritik am amerikanischen Präsidentschaftswahlsystem mit seinen sich über Monate hinziehenden Vorwahlen wird seit Jahrzehnten geübt, doch noch nie ist der Wahlkampf so früh und so heftig begonnen worden wie der für den November 1988. Seit Januar schon beackert das Dutzend Bewerber aus beiden Parteien das politische Terrain in Iowa und New Hampshire, wo in vier Monaten die ersten Parteiversammlungen und Vorwahlen stattfinden werden. Kein Kindergarten und kein Einkaufszentrum, kein Fabriktor und kein Marktplatz in diesen beiden kleinen und ländlichen Staaten hat nicht mindestens einen der Kandidaten erlebt, wie er um die Gunst der Wähler buhlt und Verständnis für Farmer, für Senioren, für Arbeitslose oder wen er sonst gerade vor sich hatte heuchelt. Nicht selten wird deswegen gefragt, ob im Januar und Februar das Wahlvolk des ganzen Schauspiels so überdrüssig sein wird, daß es den Urnen einfach den Rücken zudreht. Genauso früh wie die Kandidaten ist die Presse auf das Präsidentschaftskarussell gesprungen und hat sich ans Recherchieren gemacht. Die New York Times etwa bat die Bewerber um Freigabe ihrer FBI–Akten, um Geburts– und Heiratsurkunden, um Schulzeugnisse und Steuererklärungen, Angaben über medizinische Behandlung sowie eine Liste ihrer engen Freunde seit dem Ende ihrer Grundschulzeit. Da ein Präsident im Atomzeitalter Entscheidungen über Leben und Tod zu fällen habe, könne es für Präsidentschaftskandidaten kein Recht auf Privatheit geben, hieß es in einer Erklärung der Zeitung. Doch Chefredakteur Frankel mußte nach heftiger Kritik von außen sein Ersuchen unter Entschuldigungen zurücknehmen. Mit der Perspektive konfrontiert, eine auf zwei Jahre ausgedehnte Kampagne durchstehen und sich dabei auf Schritt und Tritt öffentlicher Kontrolle ausgesetzt zu wissen, haben zahlreiche prominente Demokraten schon vor Monaten abgewinkt und eine Kandidatur abgelehnt. New Yorks populärer Gouverneur Mario Cuomo gab an, seiner Familie nicht den Streß einer Kampagne zumuten zu können, Senator Bradley aus New Jersey oder sein Kollege Sam Nunn lehnten gleichfalls ab. Im Gegensatz zu den nunmehr nur noch sechs Zwergen wären die beiden landesweit bekannte Politiker gewesen, die eine reelle Chance auf die Reagan–Nachfolge gehabt hätten. Statt dessen bleibt der Demokratischen Partei nur die Hoffnung, das Beispiel Jimmy Carters zu wiederholen, der 1976 als unbekannter Gouverneur angetreten und dennoch Wahlsieger geworden war.