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Abschiebung trotz drohender Folter?

■ Eine unter Verschluß gehaltene Verfassungsschutz–Notiz über einen asylsuchenden Türken wiegt schwerer als die drohende Folter in der Türkei / Ausländerbehörde will unbedingt abschieben / Anwalt beantragt Aufschub

Aus Heidelberg Rolf Gramm

Obwohl deutsche Gerichte dem bei Heidelberg lebenden türkischen Staatsangehörigen Hüseyin Tuncsiperi bescheinigten, daß ihm bei der Rückkehr in die Türkei Folter droht, soll er jetzt dennoch abgeschoben werden. Nicht einmal der Ausgang seiner laufenden Verfassungsbeschwerde soll abgewartet werden. Der Grund: eine unter Verschluß gehaltene Auskunft des baden–württembergischen Landesamtes für Verfassungsschutz wiegt für die Ausländerbehörde des Rhein–Neckar– Kreises schwerer als die zu befürchtende Folter, so daß „eine Abschiebung des Antragstellers im überwiegenden Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt“. Was der Verfassungsschutz der Behörde gegenüber an „Erkenntnissen“ vorgelegt hat, will das Amt nicht herauslassen: Der Bericht sei als „VS–Erlaß nur für den Dienstgebrauch übersandt“. Tuncsiperi lebt seit 1980 in der Bundesrepublik. Als Mitglied der linken türkischen Organisation „Partisan“ beantragte er Asyl, da er in der Türkei mit Verfolgung zu rechnen habe. Er trat den Weg durch die Gerichtsinstanzen an. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und das zuständige Verwaltungsgericht lehnten seinen Antrag zu nächst ab. Der baden–württembergische Verwaltungsgerichtshof (VGH) erkannte ihn dann aber als Asylberechtigten an, weil er in der Türkei mit politischer Verfolgung und insbesondere mit „systematischer Folter“ zu rechnen habe. Diese Entscheidung wurde 1986 vom Bundesverwaltungsgericht unter Vorsitz des berüchtigten Richters Korbmacher kassiert, da die dem Türken bei seiner Rückkehr drohende Folter „nicht politisch motiviert“ sei. Über seinen Heidelberger Rechtsanwalt Dr. Gerhard Härdle legte Tuncsiperi gegen diese Entscheidung vor über einem Jahr Verfassungsbeschwerde ein. Daß die Verfassungsbeschwerde durchaus Aussicht auf Erfolg hat, zeigt sich für Härdle daran, daß sie inzwischen den Vorprüfungsausschuß des Verfassungsgerichts passiert hat und daß die Verfassungsrichter in der Angelegenheit Stellungnahmen der beteiligten Behörden einholen. Daß die Ausländerbehörde den Türken jetzt dennoch abschieben will, hält Härdle für rechtswidrig. Eine Abschiebung mit Verweis auf eine inhaltlich unbekannte Stellungnahme des Verfassungsschutzes ist dem Anwalt in seiner langjährigen Praxis „noch nicht vorgekommen“. Er hat jetzt beim Karlsruher Verwaltungsgericht beantragt, dem Landratsamt die Abschiebung zu untersagen.

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