„Wohin zum Teufel geht Labour?“

■ Auf der Suche nach dem verlorenen Wähler / Die britische Labour Party entdeckt die Notwendigkeit, sich zu verändern / Parteichef Kinnock fordert einen „neuen Realismus“

Aus Brighton Rolf Paasch

„Yuppies“, so raunzte der Gewerkschaftsboß dem Reporter ins Mikrophon, „Yuppies interessieren uns nicht“. „Wir müssen“, widersprach ihm wenig später Parteisekretär Whitty, „auch um den Mittelklasse–Wähler im Süden werben, der vielleicht ein Häuschen hat und sogar ein paar Aktien besitzt“. Die schwierige Suche der britischen Labour Party nach den zur Macht benötigten zwei Millionen zusätzlichen Stimmen hat in dieser Woche auf dem Parteitag in Brighton begonnen. Labour sei nicht hergekommen, um zu trauern oder gar den Sozialismus zu Grabe zu tragen, rief Parteichef Kinnock seiner nach drei Wahlschlappen arg verwirrten Basis zu. Es gehe vielmehr darum zu überprüfen, wie dieses Ziel in den 90er Jahren erreicht werden sollte. Ob er mit diesem Ziel die Macht oder den Sozialismus meinte, blieb unklar. Doch bevor Neil mit einer Grundsatzrede der Partei am Dienstag neuen Mut einreden durfte, galt es den Parteiapparat für die kommenden Veränderungen zu öffnen. Es ging um das Verhältnis zwischen Partei und Gewerkschaften: Die Finanzierung der britischen Labour Party erfolgt zu einem Großteil durch die Mitgliedsbeiträge der Gewerkschaften, denen dafür auf dem Parteitag ihrer Mitgliederstärke entsprechende Blockstimmrechte zugestanden wer den. So hoben auch in Brighton die Gewerkschaftsdelegierten wieder für 6 Millionen Mitglieder die Hand, von denen im Juni nur gut die Hälfte für Labour gestimmt hatten; ein Gradmesser für die Schwächung der Arbeiterbewegung. Seitdem Meinungsumfragen herausgefunden hatten, daß viele Wähler wegen Labours Abhängigkeit von den Gewerkschaften nicht für die Partei stimmten, wollte Parteichef Kinnock zumindest den Einfluß der Arbeitnehmerorganisationen auf die Auswahl zukünftiger Parlamentskandidaten begrenzen. Sein Vorschlag zu einer demokratischen Auswahl der Vorstandskandidaten wurde sogar mit den Stimmen einiger großer Gewerkschaften angenommen. Auch in der zweiten Pflichtübung des Parteitags, der Wahl des 26köpfigen Vorstandes, lief alles nach dem Wunsch der „Kinnockiten“ in der Führungsspitze. Das Kontingent der sogenannten „harten Linken“ schrumpfte analog zur „working class“ draußen im Lande von 7 auf 5 Vorständler; die Zöglinge Neil Kinnocks, allen voran der neue Komet am Labour– Himmel, Brian Gould, wurden dagegen allesamt in den Vorstand gewählt. Doch auch Ken Livingstone, Ex–Bürgermeister und einstiger Darling der Londoner Linken, sprang gleich in seinem ersten Parlamentarierjahr in das höchste Parteiorgan. Beide, Gould und Livingstone, verkör pern als Politiker der neuen Labour–Generation den Willen der Partei zum Wandel. Doch während der „rote Ken“ die Yuppie– Wähler nur als Teil einer Regenbogen–Koalition aus Schwarzen, Frauen, Homosexuellen und linken Mittelständlern ansieht, scheint es dem smarten Wahlkampfdirektor Gould mehr um die labourgerechte Präsentation Thatcherscher Ideen zu gehen. Hatte er doch am Sonntag kundgetan, er könne sich unter Labour sogar den Ausbau von Maggies Volkskapitalismus in der Form einer sozial gerechten Entstaatlichung und Aktienverteilung vorstellen. Ob Leute wie Gould und Kinnock nur geschickte Verpackungskünstler sozialistischer Ideen sind oder - wie viele argwöhnen - rechte Wölfe im links– modernistischen Schafspelz, dies war nicht mit Sicherheit festzustellen. Zwar wurde der von Kinnock geforderte „Policy Review“, eine Art Überdenken sämtlicher Politikvorschläge der Partei, mit großer Mehrheit beschlossen; welche heiligen KÜhe aber am Ende auf dem Weg zur Macht geschlachtet werden sollen, darüber gabs wenig konkrete Diskussionen. Diese Probleme wurden vertagt - oder wie der Kommentator des „Guardian“ treffend formulierte: „Hier in Brighton trifft sich erneut eine Partei, die sich krampfhaft von jedem intellektuellen Abenteuer fernhält.“ Höhepunkt der Platitüden–Parade war schließlich die Grundsatzrede des Parteiführers. Eine Revision wird vor allem auf dem Gebiet der zukünftigen Verteidigungspolitik erwartet, wo Labours Position der einseitigen atomaren Abrüstung von der Parteiführung allgemein als Hauptursache für die Wahlschlappe angesehen wird. Mit der Aufgabe ihrer nuklearen Abrüstungsbereitschaft, so machte Ken Livingstone der Labour–Führung gleich am Mittwoch klar, werde die Partei in neue Flügelkämpfe gestürzt. Während die Delegierten am Donnerstag fünf verschiedene Resolutionen diskutierten - vom NATO–Austritt bis zu einem nationalen Abrüstungsreferendum äußerte sich Neil Kinnock zur Abrüstungsproblematik weiterhin mit der Eleganz und Eindeutigkeit des delphischen Orakels. So fand am Ende der Alt–Linke Eric Heffer, wenn auch unfreiwillig, die passende Unterzeile für den in puncto Standortbestimmung wenig ergiebigen Parteitag: „Where the hell are we going?“