SPD: Der Ausstieg aus dem Ausstieg

■ Am Wochenende will die NRW–SPD ihre Glaubwürdigkeit retten und ihr AKW trotzdem behalten

Wenn an diesem Wochenende in Bochum der Landesparteitag der SPD steigt, können die NRW–Sozis sich der Aufmerksamkeit der übrigen bundesdeutschen Genossen sicher sein. In NRW steht für die SPD der „Glaubwürdigkeitstest“ in Sachen AKW–Ausstieg an. Doch wo vor den Kulissen lauthals gestritten wird, werden im Off längst Fakten geschaffen. Der THTR in Hamm steht für Rau nicht zur Disposition.

Wenn an diesem Wochenende in Bochum der Landesparteitag der SPD steigt, dann können die in der Bonner SPD–Baracke mitunter abschätzig „NRW–Linke“ genannten Sozis sicher sein, daß die sozialdemokratischen Augen der Republik auf sie gerichtet sind. In NRW, so sagen nicht nur die Jusos, steht für die SPD der „Glaubwürdigkeitstest“ an. Es geht um die Frage, ob die Nürnberger Parteitagsbeschlüsse zum Kernenergieausstieg in NRW umgesetzt werden oder nicht. Auf Beschluß des Landtages hätte die Landesregierung eigentlich schon im Mai einen Stufenplan zum Ausstieg vorlegen sollen. Doch Wirtschaftsminister Jochimsen erklärte dieses Ansinnen erst jüngst als den Interessen des Landes nicht dienlich (siehe Interview). Um parteiinterne Kritiker der Regierungspolitik insbesondere im Streit um das frühere Lieblingsobjekt der Landesregierung, den THTR (Hochtemperaturreaktor) in Hamm, schon im Vorfeld des Parteitages lahmzulegen, verabschiedete der Landesvorstand einstimmig einen Leitantrag zur Kernenergie, dessen weiche Formulierungen Gegner und Befürworter befrieden sollen. Während viele Anträge aus den Parteiuntergliederungen definitiv die Verweigerung der endgültigen Betriebsgenehmigung für den THTR und dessen Abschaltung fordern, verweist der Leitantrag die Ausstiegswilligen nur unbestimmt auf Ergebnisse der laufenden Sicherheitsüberprüfung. Obgleich dieses Projekt unter Regie des zweit größten Schweizer Atomkonzerns und HTR–Planungsbeteiligten Elektrowatt (siehe S.1) längst ins Zwielicht geraten ist, stimmten selbst THTR–Kritiker wie Verkehrsminister Christoph Zöpel dem Leitantrag zu. So ist mit einer breiten Zustimmung auf dem Parteitag für die Vorstandslinie „wir wollen ja aussteigen, aber wir können nicht“, zu rechnen. Verdeckte THTR–Förderung Mehrere Fakten deuten dagegen darauf hin, daß die Landesregierung weiterhin die Hochtemperaturreaktortechnologie fördert. Im Unterschied zur Zeit vor Tschernobyl geschieht dies jetzt verdeckt. Das geht aus den Haushaltsplänen des Landes hervor. Eng verknüpft mit Errichtung und Inbetriebnahme des THTR förderte das Land bis einschließlich 1986 die Entwicklung einer auf 1,2 Mrd. DM Kosten projektierten „Prototypanlage Nukleare Prozeßwärme“ (PNP). Darunter sind Entwicklungsarbeiten für eine Anlage zu verstehen, die als technisches Bindeglied zwischen Kohleveredelung und HTR–Technologie eine Prozeßwärmeauskopplung ermöglichen soll. Ohne dieses Verfahren des nuklearen Prozeßwärmesystems bleiben Hochtemperaturreaktoren reine Stromerzeuger und können nicht für die Vergasung von Steinkohle eingesetzt werden. Das Entwicklungsvorhaben PNP, das laut Haushaltsplan 86 in der Zeit von 1976 bis 1988 „baureife Unterlagen für eine Prototypanlage von 500 MW ther misch“ liefern soll, ist seit 1987 als Haushaltstitel verschwunden. Statt dessen tauchtnun „Förderung von Werkstoffen und Komponenten für Hochtemperaturprozesse“ auf. Welche (nuklearen) Einzelprojekte hier in 87 und 88 mit insgesamt 75 Mio. DM gefördert werden, darüber verweigerte das Wirtschaftsministerium bisher der taz jede Auskunft. Es fällt indes auf, daß die Angaben des Haushaltsplanes 1988 über Zeitdauer und Gesamtentwicklungskosten des Materialforschungsprogrammes haargenau dem früheren PNP–Projekt entsprechen, das im Bundeshaushalt 1988 noch offen ausgewiesen ist. Fachmann widerspricht Minister Auf Vorwürfe des grünen MdB Eckard Stratmann, die Landesregierung fördere somit weiterhin die HTR–Linie, konterte Minister Jochimsen diese Woche im Vorwärts, die HTR–Förderung sei „eingestellt, nur die Materialforschung laufe weiter - und hochtemperatur–resistente Werkstoffe würden schließlich in vielen Bereichen der Industrie benötigt“. Dieser Ansicht widersprach der Leiter des Projektes HTR–Entwicklung in der Kernforschungsanlage Jülich (KfA), Dr. Norbert Kirch, gegenüber der taz: „Die finanziellen Anforderungen an das Komponenten– und Werkstoffprogramm der Landesregierung waren und sind auch 1987 und 1988 vornehmlich an der HTR– Entwicklung orientiert.“ Daß man in der KfA bemüht ist, den auch von Minister Jochimsen befürchteten „Fadenriß in der HTR–Technologie“ zu vermeiden, daran läßt Dr.Kirch keinen Zweifel: „Wir überlegen derzeit mit unseren Partnern - Reaktorbauer, Ruhrkohle und Rheinbraun -, wie wir die technische Lücke zwischen Kohleveredelung und HTR schließen können.“ Planungsaufträge für HTR 500 Unterdessen arbeitet das 1986 gebildete Planungskonsortium für den HTR 500 (ein Folgemodell des jetzigen Prototyps) an der Vorbereitung für einen kompletten Genehmigungsantrag, der möglicherweise 1988 auf dem Tisch liegen wird. Die VEW in Dortmund wollen den neuen Reaktor „nur bauen, wenn das Genehmigungsverfahren vor Grundsteinlegung abgeschlossen ist“, so VEW– Sprecher Dr.Drath zur taz, das System der Teilerrichtungsgenehmigungen hat die Atomlobby bisher immer um Jahre zurückgeworfen. Daß die Schweizer HTR– Gruppe, darunter die Elektrowatt, an den „in Kürze“ zu erteilenden Planungsaufträgen für den HTR– Bau beteiligt wird, bestätigte die Mannheimer Firma Hochtemperaturreaktorbau (HRB). Ein möglicher Standort für den HTR 500 in Nordrhein–Westfalen liegt in Hamm. Denn der Gebietsentwicklungsplan 1984 für den Regierungsbezirk Arnsberg weist in Hamm Flächen für eine weitere Nuklearanlage aus. Insofern ist die ohnehin folgenlose Streichung von vier für die Atomwirtschaft seit Jahren uninteressanten AKW– Standorten durch die Landesregierung auch in dieser Hinsicht ohne Belang. Die einzige nennenswerte AKW–Planung für NRW bezieht sich nur auf den HTR 500. Daß dieser Stromerzeuger nicht uninteressant ist für die Atomlobby, pfeiffen die Spatzen von den Dächern. Entsprechend schlug der hessische Wirtschaftsminister Alfred Schmidt (CDU) kürzlich in einem Interview einen „Allparteienkonsens in der Energiepolitik“ vor: „HTRs sollten nach Auslaufen der Betriebszeit von Leichtwasserreaktoren eingesetzt werden.“ Eine Linie, der die NRW–SPD praktisch und politisch bisher nichts entgegensetzt. Petra Bornhöft