Gorbatschow: „Den Entscheidungen müssen jetzt auch Taten folgen“

■ In Murmansk setzte sich Gorbatschow mit den Schwierigkeiten bei der Umgestaltung von Staat und Wirtschaft auseinander / Neue Abrüstungsvorschläge: „Friedenszone in der Arktis“

Von Erich Rathfelder

Berlin (taz) - „Eine Zone des Friedens“ sollen die unwirtlichen Gegenden der Arktis werden, die trotz ihres Mangels an Menschen zu den militarisiertesten Zonen der Welt gehören. Explizit bezog sich Gorbatschow in seiner Rede auf die Vorschläge skandinavischer Politiker wie Urho Kekkonen (Finnland) und Olof Palme (Schweden), die in der Vergangenheit atomwaffenfreie Zonen in der Region vorgeschlagen hatten. Er lobte Dänemark und Norwe gen, die auf ihrem Territorium die Stationierung von Atomwaffen in Friedenszeiten ablehnten. NATO und Warschauer Pakt sollten die Tätigkeit von Luftwaffe und Kriegsmarine in der Region einschränken und in zu vereinbarenden Zonen international genutzter Meerengen ganz verbieten. (Siehe Dokumentation) Hauptfeld der Perestroika sei die Wirtschaft, hob Gorbatschow in seiner über fünfstündigen Rede hervor. Wenn es auch schon Erfolge in der Landwirtschaft gegeben habe, so seien der Maschinenbau, die chemische Industrie und die Leichtindustrie weiterhin die Sorgenkinder der sowjetischen Wirtschaft. Auch bei der Arbeitsdisziplin und Organisation sei man kaum vorwärtsgekommen. „Die Arbeitskollektive sollten nicht auf die Weisung von oben warten“, umschrieb er die Schwierigkeiten in den „sozialistischen“ Betrieben. Wenn das Gesetz über die Betriebsverfassung im nächsten Jahr in Kraft gesetzt werde, gelte es, „von unten die Initiative zu entfalten“. Schon jetzt sei es an der Zeit, sich gründlich vorzubereiten und maximal die Möglichkeiten zu nutzen, die den Betrieben die wirtschaftliche Rechnungsführung biete. Noch veränderten sich die wirtschaftlichen Indikatoren kaum, und auch die Versorgungslage könne bisher nicht befriedigen. „Aber die Veränderungen nehmen ihren Lauf, es wird hier keinen Bruch und auch kein Anhalten geben“, sagte Gorbatschow. Eine Preisreform sei unumgänglich. Gorbatschow erinnerte daran, daß die staatlichen Subventionen der Fleisch– und Milchpreise 1986 noch erhöht worden seien - auf 57 Milliarden Rubel (rund 170 Milliarden Mark). Dies könne nicht mehr so weitergeführt werden, nun sei es an der Zeit, das Problem der Preise „den Werktätigen gegenüber unbedingt zur Diskussion zu stellen“. Der Kurs der Einsparung müsse konsequent fortgeführt, der aufgeblähte Leitungsapparat „vereinfacht werden“. Die Führung des Landes werde in ihren Entscheidungen weiterhin auf ein rationelles Wirtschaften abzielen, hob der Generalsekretär hervor und kündigte somit ein Abspecken beim Personal der bürokratischen Instanzen an. „Es wäre unverantwortlich, die Kräfte zu unterschätzen, die sich den Veränderungen widersetzen - die vom Haß gegen alles Fortschrittliche geblendet und sehr aggressiv sind“, erklärte Gorbatschow und ging damit auf die Anhörungen im vereinten Wirtschaftsausschuß des US–Kongresses ein. Dort sei die Umgestaltung in der Sowjetunion für gefährlich erklärt worden, weil sie die Positionen der UdSSR festigen würden. Das Scheitern der Wirtschaftsreform diente also den Interessen der USA, schrieb Gorbatschow seinen sowjetischen Zuhörern (und Kritikern) ins Stammbuch. Um dieses Ziel zu erreichen, forcierten die USA die Entwicklung neuer kostspieliger Raketenabwehrsysteme und stellten noch mehr Mittel für die Rüstung bereit. „Eine solche offene und zynische Haltung können wir nicht unberücksichtigt lassen.“ Im politischen Klima der Gesellschaft“ seien die ersten Ergebnisse der Umgestaltung, die neue Denkweise und das neue Verhalten der Menschen zwar schon spürbar, das Kernproblem bleibe aber, daß über die Reformen oft „engagiert“ geredet werde und man auch Gesetzentwürfe verabschiede, daß aber die Reformvorhaben noch zu wenig in die Praxis umgesetzt würden. „Entscheidungen müssen Taten folgen - wir müssen jetzt arbeiten, jeder muß handeln.“