Kongreß der Saubermänner

■ 200 Fachleute tauschten zum 750. Stadtjubiläum in Berlin Altbekanntes zur „Luftreinhaltung“ aus / Ergebnis stand schon vorher fest

Von Nikolaus Müller–Schöll

Berlin (taz) - Der Kongreß tanzte zwar nicht, er tagte immerhin, doch Neues brachte er nicht zu Tage. Um „Luftreinhaltung in Europäischen Großstädten“ sollte es gehen, ein etwas irreführender Titel, fragt man sich doch, ob da nicht mehr wieder herzustellen als zu erhalten wäre. Von Mittwoch bis Freitag trafen sich dazu im Berliner Kongreßzentrum ungefähr 200 Fachleute aus europäischen Metropolen. Eingeladen hatte Berlins Umweltsenator Jürgen Starnick. Ein 400 Seiten starkes Teilnehmerhandbuch verriet den Anlaß für Zeit und Ort: Auf seinem Deckel prangen die Embleme des Europäischen Umweltjahres und der 750–Jahr–Feier. Einen „Status–Report“ nannte ein Teilnehmer die Tagung. Denn zu konferieren gab es wenig, verschmutzte Großstadtluft ist schließlich nichts Neues: Seit Jahr und Tag bringt sie Kindern Pseudo–Krupp, alten Leuten Asthma und Herzbeschwerden, verursacht sie Übelkeit und Schwindel, erhöht die Sterberate, läßt Gras welken, Bäume sterben und Akropolis und Kölner Dom bröckeln. Daß der Smog von Kraftwerks– und Industrieschloten, von Omas Kohleofen und den Autolawinen herrührt, ist kein Geheimnis. Und längst ist auch bekannt, was dagegen getan werden müßte: Kraftwerke entsticken und entschwefeln, Energie sparen, den öffentlichen Nahverkehr fördern und Autos ohne Katalysator verbieten. Kein Wunder also, daß Costas Symeonides, ein Referent aus Athen, am meisten beeindruckte, mit welchem Interesse die Teilnehmer den Ausführungen folgten, „weil den Wissenschaftlern das alles doch längst mehr oder weniger bekannt ist“. Für Symeonides hatte das Thema ganz aktuelle Brisanz. In Athen wurde am Mittwoch wieder einmal Smog gemeldet. Für Anfang Oktober eine ungewöhnliche Erscheinung. Zwar hat sich am Fuß der Akropolis längst ein eigener Name für das selbsterzeugte Phänomen herausgebildet, man spricht von der „Athener Wolke“. Doch bildet die sich normalerweise nur im Sommer, wenn Klima und Autoabgase zusammenwirken, sowie im Winter, wenn die Öfen qualmen. Die Todesrate in Athen ist in den letzten Tagen um mehr als ein Viertel gestiegen, in den Krankenhäusern wurde die doppelte Zahl an Patienten mit Kreislauf– und Atembeschwerden registriert. Immerhin hat man eine Lösung für die bedrohten antiken Denkmäler gefunden. Wie Simeonides am Rand der Tagung berichtete, legt man die Originalsteine jetzt in Vitrinen und ersetzt sie durch Nachbildungen. Obwohl gerade in Berlin gerne daraufhingewiesen wird, wie sehr der grenzüberschreitende Schlechtluftverkehr mit DDR und Tschechoslowakei zum Smog vorort beiträgt, war kein einziger Referent aus dem Ostblock gekommen. Zygmunt Fura aus Polen, der einzige Zuhörer von drüben, fand dies nicht verwunderlich. Vermutlich liege es am Tagungsort West–Berlin. Fura ist der Präsident des „Polnischen Ökologischen Klubs“, einer unabhängigen Organisation von Umweltschützern, die seit 1980 in Krakau arbeitet. Auf eigene Faust ist er nach Berlin gefahren, nicht unterstützt von seinem Staat, aber auch nicht gehindert. Für ihn war die Konferenz ein Erfolg. Eingebracht habe sie neue Erfahrung und vor allem jede Menge Material. Furas Organisation gibt sich apolitisch. Das sei für sie die einzige Möglichkeit, offiziell arbeiten zu können, sagt er. „Diese Probleme ohne ihren politischen Kontext zu sehen, ist natürlich unmöglich.“ Auch deshalb suche seine Organisation Kontakt zu Umweltschützern aus anderen Ländern. Zuletzt habe man sich mit staatlich unterstützten Gruppierungen aus anderen Ostblockstaaten getroffen. Sogar eine Delegation aus der UdSSR sei gekommen. Über den Umweltschutz habe man aller dings unterschiedliche Ansichten gehabt. Schon deshalb, weil Furas Organisation eine der wenigen Initiativen im Ostblock ist, die gegen Atomkraft kämpft. Den Äußerungen einiger Teilnehmer zufolge ging es auf dem Berliner Kongreß ähnlich unpolitisch zu. „Die politische Umsetzung wird hier nicht diskutiert“, stellte Günter Warneke, Professor an der FU in Berlin, fest. Vermutlich sei das auch gar nicht möglich auf so einem Kongreß. Da gehe es eben mehr um einen Erfahrungsaustausch für Verwaltungsleute zum Beispiel darüber, wie man Umweltschutz gegen die eigene Behörde durchsetzt. Gerade hier sehen Kritiker in der BRD die größten Probleme. Nach einer Prognose des Umweltbundesamtes könnte der Dreckausstoß in die Luft nämlich allein auf der Basis bestehender Verordnungen und Gesetze bis 1995 auf ein Drittel gesenkt werden. Politische Töne blieben dem Berliner Umweltsenator vorbehalten. Der hatte seine Eingangsrede genutzt, um den Luftreinhalteplan seiner Behörde zu loben. Einer Berliner Teilnehmerin mißfiel solches Eigenlob: „Wenn man daran denkt, daß die schon wieder den Nahverkehr teurer machen wollen ...“ Gestern mittag stand dann im Schlußkommunique, daß Smog in europäischen Großstädten kein so ernstes Problem mehr sei. Eine gesundheitliche Belastung lasse sich nur noch selten nachweisen. Das „gemeinsame“ Papier hatten die Referenten des Senators bereits am Donnerstag entworfen, während die Fachleute noch im halbleeren Kongreßsaal Smogdaten austauschten, Belastungskurven verfolgten und sich von Industrievertretern neue Produkte empfehlen ließen. Schließlich sollte es schon gestern morgen, während die Fachleute noch über „Emissionsvermeidung bei Straßenverkehr“ diskutierten, getippt werden. Denn, so ein Referent zu seinem Kollegen, „bei so vielen Teilnehmern kann ja sowieso nicht jeder mitformulieren“.