„Die Dänen, die unser Schleswig–Holstein regieren“

Der SSW und vor allem sein einziges Parlamentsmitglied im Landeshaus an der Kieler Förde, der 59jährige Karl–Otto Meyer, sind mehr als zum Zünglein an der Waage in den schleswig–holsteinischen Verhältnissen geworden. Sozialdemokratische und grüne Sympathisanten hoffen gleichermaßen auf ein Unikum in der bundesdeutschen Parteiengeschichte: den SSW als Motor einer neuen politischen Kultur. Und Karl–Otto Meyer läßt keine Gelegenheit aus, für sein „nordisches“ Demokratieverständnis wortgewaltig zu werben, und das heißt vor allem: Entmachtung der CDU. Unikum wurde der SSW hauptsächlich, weil er kurz nach dem Zweiten Weltkrieg dem schlechten deutschen Gewissen gegenüber Dänemark geschuldet war. Als einzige Partei im Lande unterliegt der SSW nicht der Fünf–Prozent–Klausel, sondern muß so viele Stimmen sammeln, wie zum Erreichen des letzten Mandats im Landtag nötig sind. Das hatte vordergründig mit der deutschen Besatzung zu tun, mehr aber noch mit den verworrenen deutsch–dänischen Verhältnissen in Schleswig– Holstein. Jahrhundertelang eng an Dänemark angelehnt oder Teil des dänischen Königreiches wog hier der gesamtdeutsche Nationalismus des 19. Jahrhunderts besonders schwer. Doch nach dem siegreichen Krieg gegen Dänemark 1866 fanden sich die Schleswig–Holsteiner bis an die Grenzen Hamburgs nicht als Deutsche, sondern als Beute–Preußen wieder. Hinzu kam, daß die erste deutsche Reichsgrenze sich viel weiter im heutigen dänischen Süden befand und daß das Reich mit seiner dänischen Minderheit entsprechend grob umging - ganz im Gegensatz zu den dänischen Königen, die ihren schleswig–holsteinischen Untertanen weitgehend deren regionale Eigenheiten ließen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die heute bekannte Grenzziehung bei Flensburg. Nun mit dem Effekt, daß die Dänen eine deutsche und die Deutschen weiterhin eine dänische Minderheit hatten. Der Nationalsozialismus brachte bei aller „germanischen Brudervolks–Ideologie“ den Dänen im Grenzland eine zusätzliche Verschärfung. Was unterhalb der Grenze lag, hatte einfach deutsch zu sein. Aus diesen Erfahrungen heraus kandidierte schon 1947 der Kulturverband „Südschleswigsche Vereinigung“ als Vorläufer des SSW und erhielt, obwohl nur im Landesteil Schleswig kandidiert wurde, prompt 9,3 Prozent der Stimmen. Sein Nachfolger, der SSW, war 1949 sogar mit einem Sitz im Bundestag vertreten. Diese Popularität hatte einen doppelten Hintergrund. Viele mochten sich nach dem Nationalsozialismus nicht mehr mit ihrer Nation identifizieren, und dann spielten auch die materiellen Vorteile, die der dänische Staat seiner Minderheit mit besserer Lebensmittelversorgung gewährte, eine gewisse Rolle. Von daher entstand das böse Wort von den „Speckdänen“. Doch mit Beginn des Wirt schaftswunders und des „wir sind wieder wer“ schwand auch der dänische Einfluß. 1954 scheiterte der SSW an der Fünf–Prozent– Klausel. Erst die „Bonner Erklärung“ von 1955 schrieb die Anerkennung von Minderheitenrechten im Grenzraum fest. Und zwar, was nach dem christ–demokratischen Getöse a la Strauß allzu häufig vergessen wird, zweiseitig. Auch die Dänen gewährten ihrer deutschen Minderheit die parlamentarische Vertretung. Doch spätestens seit die deutsche Min derheit Mitte der sechziger Jahre ins Kopenhagener Parlament einen ehemaligen SS–Mann schicken wollte, versank sie in der Bedeutungslosigkeit. Der SSW wurde jedenfalls von der Fünf–Prozent–Klausel befreit. Mit dem Abgeordneten Karl–Otto Meyer kam dann 1971 ein überzeugter Sozialliberaler ins Landesparlament, und 1979 sah es in der Landeswahlnacht einige Stunden beinahe so aus, als könnte sich mit Meyers Hilfe eine sozialliberale Landesregierung konstituieren. Stoltenbergs Rache kam prompt: Er erhöhte die Landtagssitze von 73 auf 74, um der SSW keine Königmacherrolle zuzubilligen - eine Entscheidung, die genau zu der heutigen Situation führte. Seitdem pocht der SSW jedenfalls sehr viel stärker als vor den siebziger Jahren auf sein „vollgültiges Mandat“. Um für seine Klientel etwas zu verändern, hat er das auch bitter nötig. Der Norden des Landes, die Linie Schleswig–Flensburg, hat jedenfalls unter erheblichen strukturellen Problemen von der Landwirtschaft bis zu den Werften zu leiden. Dafür bietet der SSW eine breite Maßnahmenpalette von ökologischer Landwirtschaft, Verzicht auf die Kernenergie zugunsten von forcierten neuen Energieträgern und einer dezentralisierten Industriesiedlungspolitik an. Was Karl–Otto Meyer, die dänische Minderheit und kritische Geister im Lande nach der pogromähnlichen Kampagne gegen den, „der nun unser Bundesland regiert“, von der politischen Kultur in Schleswig–Holstein auch nach dem Barschel–Rücktritt halten, brachte Karl–Otto Meyer gegenüber der Wochenzeitung Kieler Rundschau auf den Punkt: „In diesem Lande werden immer noch die Opfer zu Tätern gemacht.“ Tom Janssen