Nordisches Demokratieverständnis für Kiel

■ Ungewohnte Aufmerksamkeit verbuchte der Landesparteitag der SSW vom Wochenende in Flensburg

Wo sich normalerweise kein Bonner Journalist und kaum eine Fernsehkamera hin verirrt, drängelten sich am Samstag in Flensburg rund 50 Pressevertreter aus Dänemark und der ganzen Bundesrepublik: auf dem Landesparteitag des Südschleswigschen Wählerverba fast einstimmigen Votum seiner Partei schreckt „Karl–Otto“ nun erst recht nicht vor der Rolle des Königsmachers zurück.

Der Versammlungssaal einer Mehrzweckhalle, alle Tische voll besetzt, kaum Anzüge und Krawatten - das könnte ein Landesparteitag der Grünen sein. Aber dafür liegt zu wenig Papier auf den Tischen. Auch bei der SPD wäre mehr Papier zu erwarten, außerdem fehlen die hübschen Teile von Damenboutiquen und Herrenausstattern. Die Plakate an den Wänden sind zwar blaugelb, doch der Text, „... darauf kannst Du Dich verlassen“, macht deutlich: Es kann auch kein Parteitag der Freien Demokraten sein. Und für CDU–Verhältnisse wird zuviel gelacht und zu wenig hinter den Kulissen getuschelt. Bleibt nur noch der SSW. So sieht also ein Parteitag des Südschleswigschen Wählerverbandes aus, des politischen Armes des „Sydslesvigsk Forening“. Das ist die Partei, auf deren Spaltung die CDU in Bonn und Kiel hofft, um den einzigen Landtagsabgeordneten der dänischen Minderheit, Karl–Otto Meyer, ausschalten und den SSW auf die Seite einer schwarzgelben Koalition ziehen zu können. Weder die anonymen Morddrohungen gegen Meyer vor der ersten Landtagssitzung am Freitag noch die Bombendrohungen gegen den Parteitag störten die Gemütlichkeit. Das Polizeiaufgebot bleib klein, das dänische Smörebrod–Frühstück und die deutsche Erbsensuppe zum Mittag schmeckten den 100 Delegierten, als sei nichts gewesen. In dieser nur 4.800 Mitglieder starken Kleinpartei bestimmen ruhige Menschen mit starken Nerven das Bild. Die Sektiererei, die viele der aus dem ganzen Bundesgebiet angereisten Journalisten erwartet hatten, war nicht zu sehen. Jede andere Partei setzt Vorstand und Präsidium auf die Bühne, wenn eine vorhanden ist; der SSW setzt das Präsidium in den Saal und die Presse auf die Bühne, weil das für die 50 Berichterstatter und Kamerateams einfach praktischer ist. Nahezu einstimmig haben die Delegierten der deutschen Minderheit den Spekulationen über eine Spaltung des SSW in einen CDU–Flügel und einen Meyer– Flügel beendet. 99 von 102 abgegebenen Stimmen bestätigten Meyer als Vorstandsbeisitzer und votierten damit auch für seinen Kurs, unter keinen Umständen einem CDU–Ministerpräsidenten an die Macht zu verhelfen. 87 von 102 Parteivertretern bestätigten den Parteivorsitzenden Gerhard Wehlitz im Amt und belohnten damit dessen Schulterschluß mit Meyer. Vor zehn Tagen hatte Wehlitz noch gezögert und eine Unterstützung der CDU nicht ausschließen wollen. Das aber wäre zur Zerreißprobe für den SSW geworden, denn dann hätte Meyer sein Mandat niedergelegt, und damit hätte die dänische Minderheit ihren einzigen routinierten Politiker verloren. Am Samstag war Wehlitz wieder hart: „Der SSW bleibt ein berechenbarer politischer Faktor und ist nicht käuflich zu erwerben.“ Wenn Meyer sprach, gab es einige Male stehenden und lang anhaltenden Beifall der Delegierten. Meyer rechnet mit baldigen Neuwahlen. Spätestens, wenn bei der Ministerpräsidentenwahl Ende Oktober drei Wahlgänge mit einem Patt enden, seien sie unausweichlich. Meyer ging zwar auf dem Parteitag nicht darauf ein, wie er selbst abstimmen werde, aber die Fragen dürfte er auch einfach satt haben, nachdem er x–mal erklärte hat: „Ich stimme für keinen CDU–Kandidaten, ich stimme für Engholm.“ Einen Koalitionsvertrag zwischen CDU und FDP wolle er gern abwarten, meinte Meyer, schränkte aber sofort ein, daß das ja nichts mit der Ministerpräsidentenwahl zu tun habe. Ein „nordisches Demokratieverständnis“ will die Meyer–Partei nach Schleswig–Holstein importieren. „Karl–Otto“, wie er überall anerkennend genannt wird, findet es kaum zu ertragen, wenn immer 51 Prozent über 49 das Zepter schwingen. Sein demokratisches Gewissen findet erst Ruhe, wenn über die Parteigrenzen hinweg Kompromisse ausgehandelt sind, hinter denen drei Viertel der Wähler stehen können, die nur noch dem restlichen Viertel Gewalt antun. Das Vorgehen von CDU und FDP, die die SPD als größte Fraktion von Verhandlungen über die Regierungsbildung ausschließen wollen, findet Meyer einfach unmoralisch. Aus der „vergifteten Atmosphäre“, dem „Blockdenken und Bekämpfen des politischen Gegners“, müsse ein „Klima der Solidarität, der Zusammenarbeit aller Demokraten“ werden, lautet sein Appell. Vor Neuwahlen ist dem SSW nicht bange. „Wenn ihr wollt, dann bin ich bereit, wieder in den Landtag zu ziehen, und dann gibt es 25.000 Stimmen“, rief Meyer selbstbewußt. Das wird nicht übertrieben sein; am 13. September kam der SSW auf 23.316 Wähler, 1.500 mehr als vor vier Jahren. Und seit der Barschel–Pfeiffer–Affäre mit den massiven Schmähungen gegen Engholm und dem machtgierigen Koalitionshunger der Freien Demokraten steht nur noch die Meyer–Partei mit weißer West da. Immer wieder wehrt Meyer sich dagegen, daß er als Ein– Mann–Fraktion im Landtag den Mehrheitsbeschaffer, Königsmacher oder Königsmörder spielen soll: „Das kann doch nicht sein, daß 73 Parlamentarier auf ihrem Hintern sitzen bleiben, und nur ich soll mich bewegen.“ Um von dieser Last befreit zu werden, fordert er eine Änderung der Landessatzung, damit der Landtag sich bei Stimmengleichheit selbst auflösen kann und dafür nicht auf den Gnadenakt eines geschäftsführenden Ministerpräsidenten angewiesen ist. Das meint jetzt auch die SPD, die 1949 diese halbdemokratische Verfassung verbro– chen hat. Die Angebote von FDP und CDU, daß es doch genüge, wenn Meyer sich bei der Ministerpräsidentenwahl nur ein einziges Mal der Stimme enthalte - hinterher könne er dann wieder frei und von Fall zu Fall entscheiden - verpuffen beim SSW. Meyer erklärt den Delegierten, daß das überhaupt keine Lösung wäre, denn anschließend würde von ihm auch Stimmenthaltung bei Gesetzen und Haushalten verlangt werden - sonst hätte es ja keinen Sinn gehabt, CDU/FDP an die Macht zu heben. Man weiß beim SSW, daß ein Stimmenzuwachs nicht beim kulturell dänisch orientierten Bevölkerungsteil zu holen ist. Hierfür muß man deutsche Wähler zu sich herüberziehen. Darum ist zwar die Kongreßsprache des Parteitages Dänisch, aber die politischen Tagesordnungspunkte werden auf Deutsch abgehandelt. In deutscher Sprache sind auch die meisten Wahlplakate. Dänisch geht es in der „Idraets–Hallen“ (Sporthalle) der dänischen Minderheit in Flensburg vorwiegend bei Grußworten und Organisatorischem zu. Jörg Feldner