Der „Kalte Krieg“ wird tropisch warm

■ Teil 5 der taz–Rüstungsserie: Die US–Militärstrategen beginnen, sich aus ihrer Fulda Gap–Fixiertheit zu lösen. Bestehende Abkoppelungstendenzen von Europa werden durch stärkere Orientierung auf regionale Konflikte in der Dritten Welt verstärkt. Mit „low intensity warfare“ soll der Machtverlust dort aufgehalten werden.

Von Jochen Hippler

„Die Welt befindet sich heute im Krieg“, erklärte Pentagon–Chef Weinberger Anfang 1986 bei einer Konferenz über low–intensity warfare. „Es ist kein Weltkrieg, obwohl er in der ganzen Welt stattfindet. Es ist kein Krieg zwischen vollständig mobilisierten Armeen, obwohl er nicht weniger zerstörerisch ist. Es ist kein Krieg nach den Gesetzen des Krieges, sondern tatsächlich ist das Recht als ein Instrument der Zivilisation selbst das Ziel dieser besonderen Art der Aggression... Heute befindet sich jedes vierte Land der Welt im Krieg. In praktisch jedem Fall verbirgt sich das Gesicht dieser Kriege hinter einer Maske. Und in praktisch jedem Fall verbergen sich hinter dieser Maske die Sowjetunion und diejenigen, die ihre Arbeit besorgen.“ Seit einigen Jahren arbeiten US– amerikanische Militärplaner an dem Problem, ihre militärischen und außenpolitischen Instrumente besser auf Einsätze in der Dritten Welt abzustimmen. Der Vietnam– Krieg hatte gezeigt, wie selbst die stärkste militärische und wirtschaftliche Macht der Welt gegen ein verarmtes, asiatisches Entwicklungsland einen Krieg verlieren konnte. Fast eine halbe Million Soldaten verloren die USA in Vietnam. Diese traumatische Erfahrung trug mit dazu bei, daß die US–Strategen ihre Streitkräfte in den siebziger Jahren sehr stark auf das mitteleuropäische Gefechtsfeld konzentrierten. Statt mit „schmutzigen Kriegen in Dschungeln der Dritten Welt beschäftigte sie sich mit der“wirklich wichtigenBedrohung“: den europäischen Tiefebenen, die für sowjetische Panzerarmeen ein gutes Operationsgebiet boten. Diese Fixierung wurde von militärischen Kritikern bald als „Fulda Gap Syndrom“ verspottet. Gegen Anfang der achtziger Jahre kamen zunehmend Zweifel auf, ob die Konzentration der militärischen Kräfte auf Europa nicht an den tatsächlichen Erfordernissen vorbeiging: ein Krieg gegen die Sowjetunion in Europa erschien relativ unwahrscheinlich. Statt dessenseien militärische Konflikte in der Dritten Welt nicht nur sehr wahrscheinlich, sie fänden ohnehin ständig statt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden bisher rund 300 mal US– Militäreinheiten in Ländern der Dritten Welt für begrenzte Aufgaben eingesetzt. Dagegen hatte es im Fulda Gap nicht einmal Grenzscharmützel gegeben. Da die UdSSR für eine militärische Aggression in Europa nicht stark genug sei, so die Reagan–Regierung, vollführe sie „ein Umgehungsmanöver“, um den Freien Westen in der Dritten Welt von seinen Rohstoffen und Märkten abzuschneiden. Dazu benutze sie Aufstände, den internationalen Terrorismus und andere Arten von „Kriegführung mit niedriger Intensität“ (“low–intensity warfare“). Weinberger spitzte dies dahin zu, daß die Sowjetunion einen „globalen Krieg“ gegen die USA führe. Zugleich hat man in Washington aus der Vietnam–Erfahrung gelernt, daß die eigene Dominanz in strategischen Regionen der Dritten Welt nicht unbedingt durch Militärinterventionen erreicht werden kann. Im Gegenteil: die Entsendung größerer Kampfverbände birgt stets die Gefahr, innenpolitischen Widerstand zu provozieren. Außerdem gibt es viele Konflikte, die durch rein militärische Mittel kaum oder gar nicht „gewonnen“ werden können. Eine bloße Verstärkung der konventionellen Interventions truppen stellt daher für die USA keine befriedigende Lösung dar, auch wenn man durch Aufstellung der Schnellen Eingreiftruppe und die massive Aufrüstung der Kriegsmarine unter Carter und Reagan entsprechende Schritte unternahm. Dies allein ist aber aus US–Perspektive völlig unzureichend. „Low–intensity warfare“ (abgekürzt: LIC) besteht eben nicht darin, „kleine Kriege“ auf die gleiche Art zu führen, wie man dies auch mit „großen“ konventionellen oder atomaren Kriegen tun würde. Low–Intensity warfare ist eine völlig anderek Art der Kriegsführung. Der Totale Krieg Vorwiegend geht es bei Konflikten in der Dritten Welt nicht um militärische Auseinandersetzungen, sondern um interne Unterdrückung, wirtschaftliche Ausbeutung und Elend. Befreiungs– und Guerillabewegungen können nur auf dieser Basis zu ernsthaften Herausforderungen der US–Inter– essen heranwachsen. Daraus ziehen die US–Strategen den Schluß, daß „militärische Lösungen“ allein in der Regel scheitern müssen. Nötig seien vielmehr Konzepte, die wirtschaftliche, politische, psychologische, entwicklungspolitische, polizeiliche und paramilitärische mit militärischen Mitteln kombinieren und deren abgestimmte Anwendung erreichen. LIC–Spezialisten in den USA formulieren, daß „Revolultion und Konterrevolution“ die „wichtigsten Kategorien“ solcher Kriegsführung seien, die einen „totalen Krieg an der sozialen Basis“ in den Ländern der Dritten Welt entfacht. Im allgemeinen stellt LIC keine einheitliche Operationsform dar, sondern ist eine Sammelbezeichnung verschiedener Aktivitäten, die aus US–Perspektive unterhalb der Schwelle eines konventionellen Krieges liegen. Wichtig sind vor allem:Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung), Contra– Operationen (also die Organisierung oder Unterstützung von Aufständen) und Counterterrorismus (also militärische, ökonomische und politische Maßnahmen, die unter der Rechtfertigung einer Terrorbekämpfung unternommen werden). Anstelle von klassischen Interventionen wird heute mehr Wert darauf gelegt, vorbeugend Krisen zu bekämpfen. So ist es wesentlich wirksamer, wie im Falle der Philippinen, Haitis oder El Salvadors, eine verhaßte Diktatur rechtzeitig durch eine „akzeptable“ Alternative zu ersetzen und so die Entwicklung einer breiten, linken Alternative zu verhindern oder zu unterlaufen, als eine Radikalisierung zuzulassen und dann eine Interventionsstreitmacht zu schicken. Auch das Taktieren der Reagan–Administration im Fall Südkoreas gehört an diese Stelle. Wenn die angestrebte politisch– psychologische Voraussetzung, nämlich die Schaffung einer vorzeigbaren, nichtkompromittierten Regierung gelungen ist, müssen weitere Maßnahmen eingeleitet werden: die Schaffung der wirtschaftlichen Voraussetzungen einer erfolgreichen Befriedung. Als Beispiel mag hier El Salvador dienen, wo es in den letzten Jahren durch massive Wirtschaftshilfe (mehr als 1,2 Milliarden Dollar) gelungen ist, trotz des Bürgerkrieges den Verfall der Wirtschaft zu stoppen und wo inzwischen sogar leichte Wachstumsraten erzielt werden. Ökonomische Stabilität wird hier als Voraussetzung politischer Stabilität betrachtet. In einem dritten Schritt soll der Bevölkerung gezeigt werden, daß sie von der (neuen) Regierung durchaus etwas zu erwarten hat: begrenzte, manchmal nur symbolische Landreformen, medizinische Hilfsprogramme durch die Armee, Bau oder Verbesserung der Infrastruktur und andere Projekte sollen beweisen, daß Widerstand und Aufstand nicht die einzige Alternative ist. Viertens bemühen sich die Armee und Regierung des jeweiligen Landes, die Zivilbevölkerung zumindest politisch zu neutralisieren (also von einer Unterstützung der Guerilla abzuhalten), möglichst aber, sie an sich zu binden und politisch/paramilitärisch zu organisieren. Zivile Dorfmilizen unter Kontrolle der Regierung sollen nicht nur die Armee entlasten, sondern die Bevölkerung auch in eine Konfrontation mit der Guerilla bringen. Dies wurde in Guatemala besonders wirksam verwirklicht. Und fünftens besteht Counterinsurgency natürlich auch aus wichtigen militärischen Bestandteilen. Viele der vorherigen Punkte können kaum durchgeführt werden, wenn die Armee des Landes nicht ein Mindestmaß an militärischer „Sicherheit“ garantieren kann. Zu diesem Zweck werden spezielle Techniken angewandt, die Schnelligkeit und Mobilität, Operation in kleinen Einheiten, möglichst auch bei Nacht, „angepaßte Technologie“ bei der Bewaffnung und Ausrüstung und ähnliches betonen. Zusammengenommen geht es bei Counterinsurgency - und das ist typisch für low–intensity warfare Operationen - nicht vorwiegend um die militärische Zerschlagung des Gegners, sondern um die Trennung von Guerilla und Zivilbevölkerung. Diese Trennung kann politisch, geographisch (etwa durch Umsiedlungsaktionen) oder militärisch betrieben werden. Umgekehrt verhält es sich bei Contra–Operationen: hier gilt es, die bekämpfte Regierung intern und international zu diskreditieren, wobei natürlich tatsächlich vorhandene Mängel zum Ausgangspunkt genommen werden (etwa im Fall der sandinistischen Miskito–Politik zu Beginn der achtziger Jahre). Die Bevölkerung muß dabei von ihrer Regierung getrennt, möglichst verunsichert und in sich bekämpfende Gruppen gespalten werden, um das Zielland intern zu destabilisieren. Wirtschaftsboykotte, diplomatische Isolierung, Propagandakampagnen sind üblich, die oft spektakulär operierenden paramilitärischen Contra–Truppen sind wichtige Bestandteile der Strategie, haben aber in der Regel weniger die Aufgabe, einen militärischen Sturz der Regierung zu erreichen, als das Land wirtschafltich und politisch zu zerrütten. Die wichtigsten Beispiele für solche Operatioeen von low–intensity warfare sind - wenn auch unter sehr verschiedenen politischen Rahmenbedingungen - die Länder Nicaragua, Afghanistan und Angola. Bombardierung Libyens Fast ebenso spektakulär wie die Besetzung der Karibikinsel Grenada 1983 war die counterterroristische Bombardierung Libyens im April 1986. Auch dies war der Form nach eher eine konventionelle Operation der Luftwaffe und der Sechsten US–Flotte. Zugleich machte sie aber besonders den umfassenden Charakter von LIC deutlich. Monatelang hatte die US–Regierung schon mit Unterstützung der Medien eine groß angelegte Kampagne gegen die libysche Regierung geführt, die im wesentlichen darauf basierte, das Land für den Internationalen Terrorismus verantwortlich zu machen. Mit Tatsachen wurde dabei recht großzügig umgegangen. Im Januar 1986 verhängten die USA dann einen umfassenden Wirtschaftsboykott, nachdem sie bereits in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre schrittweise den Handelsaustausch reduziert hatten. Als im Frühjahr 1986 Gespräche mit Ägypten und Frankreich über einen Sturz der libyschen Regierung gescheitert waren, handelten die USA allein: Luftangriffe im März und dan Mitte April waren eine Demonstration militärischer Macht, sollten internen Widerstand gegen die Regierung stärken und möglichst Oberst Ghaddafi töten. Im Sommer des gleichen Jahres entfesselte die US–Regierung eine ergänzende Kampagne psychologischer Kriegsführung, die unter Nutzung internationaler Medien den falschen Anschein erwecken sollte, neue Angriffe stünden kurz bevor. In eine ähnliche Kategorie gehört der beachtliche Flottenaufmarsch der USA im Persisch–Arabischen Golf. Auch er ist eher traditionell ausgelegt, die Erinnerung an die „Kanonenbootpolitik“ früherer Zeiten drängt sich auf. Aber auch dieser Aufmarsch gehört in die LIC–Kategorie: als streng militärische Maßnahme ist er sinnlos. Weder eine Eroberung des Iran, noch ein Sturz seiner Regierung läge auch nur im entferntesten im Bereich seiner Möglichkeiten. Selbst seinen vorgeblichen Zweck - der Schutz der Seewege durch den Golf - vermag er nur begrenzt sicherzustellen. Zeitweise mußten sich die US–Kriegsschiffe sogar selbst hinter den von ihnen zu „beschützenden“ Tankern in Sicherheit vor Minen bringen. Die Verwicklung in ernsthafte militärische Auseinandersetzungen mit dem Iran ist nicht gewünscht. Nur als Drohgebärde, als psychologischer Bluff der US–Regierung im LIC–Zusammenhang macht dieser Flottenaufmarsch Sinn. Innenpolitisch soll deutlich werden, daß die Reagan–Regierung trotz Irangate nichts mit den schiitischen Mullahs im Sinn hat. Abkoppelung von Europa Auf der einen Seite muß diese Tendenz zur Betonung von nicht–NATO–Einsatzfirmen der US–Streitkräfte westeuropäische Militärplaner erschrecken: die USA haben begonnen, sich aus ihrer Fulda–Gap–Fixiertheit zu lösen. Das europäische Gefechtsfeld verliert dadurch an Bedeutung, ohnehin bestehende „Abkoppelungstendenzen“ der USA werden unterstrichen. Diese Umorientierung der USA zur stärkeren Betonung der zahlreichen zukünftigen Dritte–Welt–Einsätze wird auf Dauer die Struktur der US–Streikkräfte und deren Bewaffnung und Strategie nicht unbeeinflußt lassen. Die Tendenz, die eigenen Interessen denen der NATO–Verbündeten vorzuziehen, wird auch innerhalb der NATO deutlich. Zweitens haben LIC–Strategien die Eigenschaft, die USA in einer ganzen Reihe von Konflikten zugleich - wenn auch auf niedrgiem Niveau - zu binden. Falls sich daraus einige Konflikte nicht im geplanten Maße begrenzen lassen, wären beträchtliche militärische Kräfte der USA dort für einige Zeit gebunden - und ständen damit für aus europäischer Sicht „wichtige“ Funktionen, etwa im Rahmen der NATO nicht zur Verfügung. Drittens bergen LIC–Situationen ständig die Gefahr, an vielen Konfliktpunkten in der Dritten Welt schrittweise und fast unmerklich in eine Konfrontation zwischen den Supermächten hinüberzuwachsen. Ein Beispiel war die Bombardierung Libyiens: Robert Oakley, damals ein hochkarätiger Beamter des Außenministeriums und heute beim Nationalen Sicherheitsrat, formulierte wenige Wochen nach dem Angriff, daß „natürlich“ ein gewisses Risiko einer Auseinandersetzung mit der Sowjetunion im Mittelmeer bestanden habe. Insofern wäre die NATO von einem solchen, eskalierten Konflikt betroffen worden, selbst wenn es sich im strengen Sinne nicht um eine NATO–Operation gehandelt habe.