Verschlungene Aktenwege in der KWU–Affäre

■ Strafanzeige gegen Bayerns Umweltminister Alfred Dick / KWU–Plutoniumlabor ohne Genehmigung betrieben

Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - Die Affäre um das radiochemische Labor der Kraftwerk–Union AG (KWU) in Erlangen zieht Kreise. Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten sind ins bayerische Umweltministerium verschwunden, und Bayerns Umweltminister Alfred Dick und sein Ministerialdirigent Josef Vogl, Leiter der Abteilung Kernenergie, sehen sich mit einer Strafanzeige des Grünen Kreisverbandes Erlangen–Höchstadt konfrontiert. Da dem Bayerischen Staatsministerium für Landesplanung und Umweltfragen die Rechtsaufsicht über die kerntechnischen Anlagen der KWU obliegt, haben sich nach Ansicht der Grünen die zuständigen Beamten der aktiven Duldung des Umgangs von Kern brennstoffen ohne atomrechtliche Betriebsgenehmigung schuldig gemacht. Die Grünen sprechen gar von einer „Mittäterschaft“ der leitenden Beamten und des Ministers. Seit der Strafanzeige des Erlanger Professors Dr. Theodor Ebert gegen die KWU am 12.Mai dieses Jahres ermittelt die Nürnberger Staatsanwaltschaft gegen die damalige Siemens–Tochter wegen Verdachts auf unerlaubten Betrieb einer kerntechnischen Anlage. Gemeint ist das radiochemische Labor in Erlangen, in dem u.a. Plutonium verarbeitet wird. Die KWU hat das Labor 1973 von Siemens übernommen. Die Firma Siemens, Siemens–Schuckert– Werke, Zentrale Entwicklung und Forschung, hat vom bayerischen Ministerium für Wirtschaft und Verkehr am 26.6.1969 für das radiochemische Labor eine Genehmigung für den Umgang mit 140 g Plutonium 150 g Uran und insgesamt fünf kg Thoriumdioxid (Th 232) und Urandioxid (Natururan) erhalten. Da - so der Würzburger Rechtsanwalt Baumann als Klagevertreter - atomrechtliche Genehmigungen „personen– und sachbezogen“ erteilt werden, hätte die KWU als neuer Betreiber des Labors eine neue Genehmigung beantragen müssen. Dies ist jedoch unterblieben. Man habe der KWU die Genehmigung „historisch bedingt nicht erteilt“, erklärt dazu das Umweltministeriums. Zudem halte man eine neue Genehmigung für nicht notwendig. „Alles firmeninterne Vorgänge“, so Dr. Graß, Pressesprecher des Umweltministeriums. „Diese Auffassung verstößt gegen die einhellige Rechtsauffassung und -praxis“, kontert Klagevertreter Baumann. Schon allein damit die Anlagen dem neuesten technischen Stand entsprechen, hätte ein neues Genehmigungsverfahren durchgezogen werden müssen. Ebenso jetzt, da die KWU seit dem 1.10. wieder vollständig als Unternehmensbereich in den Siemens–Konzern eingegliedert worden ist. Die Vorermittlungen der Staatsanwaltschaft geben Baumann recht. Um so verwunderlicher ist es, daß die Ermittlungsakten für Baumann bereits seit sechs Wochen nicht verfügbar sind. Eine Akteneinsicht des Rechtsanwalts würde „den Untersuchungszweck gefährden“, argumentierte die Staatsanwaltschaft. Aus anderer Quelle war jedoch zu erfahren, daß die Ermittlungsakten beim Umweltministerium gelandet sind, was auf Anfrage der taz Justizpressesprecher Guerrein bestätigte. Dort, so Kläger Ebert, hätten jedoch die Akten überhaupt nichts verloren. „Das grenzt an Strafvereitelung“, argumentiert Ebert, „denn der Staatsanwaltschaft mußte klar sein, daß die KWU das Labor jahrelang mit Wissen der Rechtsaufsichtsbehörde unrechtmäßig betrieben hat.“ Der grüne Landtagsabgeordnete Prof. Armin Weiß will nun in einer Landtagsanfrage die verschlungenen Wege zwischen Justiz und Umweltministerium klären lassen. Die Wiedereingliederung der KWU–AG in den Siemens–Konzern betrifft auch die KWU–Anlage in Karlstein am Main. Seit dem 1.10. - so Baumann - arbeitet die jetzt zu Siemens gehörende Anlage illegal, da keine neue Genehmigung vorliegt. Entsprechende Strafanzeigen wurden vorgestern gestellt.