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Die Volkszählung liegt „in Gottes Hand“

■ Über die Probleme der Volkszähler, mit der historisch begründeten Auskunftsverweigerung von Juden umzugehen / Was die Volkszählung 87 mit Blochs „Prinzip Hoffnung“, mit Gottvertrauen und der „Tradierung demokratischer Werte und Strukturen“ zu tun hat

Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Der erste Brief endete „mit freundlichen Grüßen“ und war sichtlich um Verständigung bemüht. „Sehr geehrter Herr G.“, schrieb da der Leiter der Volkszählungserhebungsstelle der Stadt Heidelberg persönlich, „die Begründung zu Ihrem Widerspruch hat uns sehr betroffen gemacht.“ Was die Statistiker so in „Betroffenheit“ und später dann in völlige Hilflosigkeit versetzte, waren nur einige wenige eindringliche Zeilen. Der mit zweitem Wohnsitz in Heidelberg gemeldete Jude Ronnie G. hatte die Namen von neun engen Familienangehörigen aufgelistet, die von den Nazis umgebracht worden waren. Zu ihrer Erfassung und Vernichtung hatten Volkszählungen von 1933 und 1939 als wichtiges Hilfsmittel gedient. „Aus der Vergangenheit weiß ich, daß folgende Familienangehörigen im Namen des deutschen Volkes ausgerottet wurden“, und „Sie können mir keinerlei Gewähr bieten, daß nicht irgendwann der Faschismus in Deutschland zurückkehrt. Somit ist es für mich denkbar, daß diese Volkszählung genauso mißbraucht werden kann wie die Daten der Volkszählung von 1933 und 1939“, hatte Ronnie G. den Widerspruch gegen einen Heranziehungsbescheid der Heidelberger Erhebungsstelle begründet. Und daß er die Frage nach der Religionszugehörigkeit grundsätzlich ablehne und jedwede Geldstrafe wegen dieser Weigerung auch nicht bezahlen werde, „so daß sie nur die Möglichkeit haben, mich einzusperren“. 14 Tage später schrieb die Erhebungsstelle zurück: „Die Volkszählung wird von Ihnen in direkten Bezug zum Genozid des Nationalsozialismus gebracht und deshalb von Ihnen abgelehnt. Das Unheil, das der Nationalsozialismus nach den von Ihnen offengelegten Daten über Ihre Familie gebracht hat, darf jedoch nach unserer Auffassung kein Anlaß sein, Parallelen zu der gegenwärtigen, durch einen demokratischen Rechtsstaat veranlaßten Erhebung zu ziehen“. Und, so hieß es unter dem „Betrifft: Volkszählung 87, Aufforderung zur Auskunft“, „hier können wir nur um Ihr Vertrauen bitten“. Wenige Tage später erfuhr die Erhebungsstelle, daß die Bitte um Vertrauen kein Gehör gefunden hatte. „Nun stellen Sie sich mal vor, Sie würden den Brief sagen wir mal 1925 an mich geschrieben haben“, schrieb Ronnie G. zurück, „und Sie hätten mich um mein Vertrauen gebeten. Was hätten Sie dann 1938 nach der sogenannten Kristallnacht geschrieben? Daß es Ihnen leid tut und daß es ein Fehler war, mich um Vertrauen zu bitten, und was hätte ich von Ihrem Vertrauen gehabt? Die Deportation und Vernichtung wahrscheinlich.“ Das wiederum wollte die Erhebungsstelle nicht auf sich sitzen lassen: „Wir fühlen uns mit Ihnen verbunden, was das Leid anbetrifft, das der Nationalsozialismus über Ihre Familie gebracht hat“, antwortete ihr Leiter, Herr Schmaus, zurück und fuhr unter Verweis auf die von Ronnie G. angekündigten gerichtlichen Schritte fort: „Gerichte sind u.E. kein geeignetes Forum, um das Prinzip Hoffnung (Bloch) dem Zukunftspessimismus entgegenzusetzen. (...) Niemand kann in die Zukunft sehen; die Gabe der Prophetie besitzen auch wir nicht. Wir haben jedoch nicht das Vertrauen in die Tradierung demokratischer Werte und Strukturen über die Gegenwart hinaus verloren. Ohne Hoffnung und Vertrauen ist Zukunft nicht gestaltbar. Sie liegt jedoch letztlich in Gottes Hand.“ Dort wollte Ronnie G. sie jedoch nicht liegen lassen. „Vielleicht werden Sie doch verstehen, daß ich keine Lust habe, mein Schicksal in Gottes Hand zu legen, sondern mich lieber auf dieser Erde, ganz konkret, gegen mögliche Bedrohungen meines Daseins wehre?“, schreibt er im vorläufig letzten Kapitel dieses Briefwechsels. Und ob er aus der Festellung des Volkszählungsstellenleiters, die Zukunft liege in Gottes Hand, auch umgekehrt folgern dürfe, „daß die Vernichtung von sechs Millionen Mitgliedern meines Volkes durch Gott organisiert bzw. geleitet wurde?“ Und was Herr Schmaus denn davon halte, fragte Ronnie G., „wenn meine Weigerung, Ihren Bogen auszufüllen, durch göttliche Einsicht geprägt ist, d.h. durch meine Handlung Gott Ihnen ein Zeichen zum Nachdenken geben will, über Ihre Tätigkeit als Leiter der Volkszählungsstelle in Heidelberg?“ Jetzt darf man gespannt sein, was die Heidelberger Erhebungsstelle antwortet. Aber vielleicht hat der Heidelberger Obervolkszähler jetzt auch die Lust an einer weiteren Fortsetzung des Briefwechsels verloren. Eine als P.S. unter den letzten Brief geschriebene Aufforderung, doch mal wieder nach Heidelberg zu kommen, denn „Heidelberg ist immer eine Reise wert“, hatte Ronnie G. nämlich seinerseits mit einem barschen P.S. unter seinem letzten Brief zurückgewiesen: „Sicherlich ist Heidelberg eine Reise wert, aber man lernt mehr bei einer Reise nach Auschwitz!“

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