In der DKP ist der (russische) Bär los

■ Glasnost und Perestroika sorgen nun auch bei den bundesdeutschen Kommunisten für Furore / Von Reiner Scholz

Wer es bis jetzt noch nicht mitbekommen hatte, mußte spätestens beim Bundeskongreß des MSB– Spartakus am Wochenende zur Kenntnis nehmen: Die Umgestaltung in der Sowjetunion geht auch an der DKP nicht länger spurlos vorbei. Auf die immer lauter werdende innerparteiliche Kritik mußte nun auch der Parteivorstand reagieren. Der Kampf zweier Linien ist in vollem Gange, und der Ausgang des Konflikts wird darüber entscheiden, ob die DKP endgültig in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Wenn es auch offiziell niemand wissen darf: In der Partei der Arbeiterklasse brodelt es. Zentrum der weitgehendsten Kritik an ihrem Innenleben und ihrer Außen wirkung ist der Bezirk Hamburg. Im August legte der Hamburger Bezirksvorstand eine umfassende Kritik der Parteiarbeit vor. Der Düsseldorfer Parteivorstand versuchte mit allen Mitteln, den Deckel auf dem Topf zu halten, jetzt tritt er die Flucht nach vorn an. In diesen Tagen verschickte er gemeinsam mit dem Kritikpapier eine harsche „Stellungnahme“ an alle Funktionäre zwischen Flensburg und Konstanz, die nun diskutieren dürfen, was sie bislang nur in Bruchstücken der vielgeschmähten bürgerlichen Presse entnehmen konnten. „Glasnost“ und „Perestroika“ heißen die Wundermittel, die die Partei in einen Waschgang zwingen könnten, der die alten Politikklamotten erheblich entfärben könnte. Diese Laugen hatten es dem Parteipoeten und Mitglied des Bundesvorstandes Peter Schütt bereits im April angetan. „Moskau funkt wieder“, hieß sein provokatorisches Gedicht, das die Genossen in der FAZ lesen mußten, weil sich das DKP–Zentralorgan UZ weigerte, es abzudrucken. „Nach Jahrzehnten der Funkstille“, schrieb der führende Kulturfunktionär seinen Genossen ins Stammbuch, „dringen durch den eisernen Vorhang enttäuschter Hoffnungen Sendezeichen eines neuen Programms“. Daß Moskau funkt, hatte die Parteizeitung UZ schon manches Mal gemeldet, daß nun aber auch Hamburg funkte, dazu noch im Blatt des Klassenfeindes, das war zuviel. Für die DKP manifestierte sich in diesem Poeten–Abweichlertum die Gefahr der dissidenten Hamburger Linie, die nicht nur Sorgen machte, weil sie zur Wahl der GAL aufrief. Auf dem 8. Parteitag im Mai letzten Jahres in Hamburg las der bekannte Betriebsrat Andreas Müller–Goldenstedt aus Hamburg der Partei die Leviten. Sie sei verknöchert und unbeweglich. Besonders aufgebracht war ein Teil der Delegierten über die Linie des Parteivorstandes, der das Durchbrennen des Atommeilers in Tschernobyl als „Havarie bei Kiew“ abzutun versuchte. Wenn auch in deutlicher Minderheit, war die vor allem von den Hamburger Delegierten in provokativer Absicht vorgebrachte Kritik am Parteivorstand von einer Schärfe, die das angereiste SED– Politbüro–Mitglied Hermann Axen zu Äußerungen wie: „Die würden bei uns längst rausgeschmissen“, provozierte. Es ist vor allem die mittlere Funktionärsschicht, die sich Veränderungen entgegenstellt. Männer, die ihre politischen Sporen bis zu ihrem Verbot in der westdeutschen FDJ verdienten und ab 1956, dem Jahr der Illegalität, in die DDR gingen. Eine Aufarbeitung der Stalin–Ära fand unter diesen Umständen für die Genossen nicht statt. Andererseits sind aber Aufenthalts– und Schulungsjahre in Ost–Berlin oder Moskau auch heute noch das Nadelöhr, durch das höhere Parteifunktionäre gehen müssen. Wer auf diese Parteischulen darf, das allerdings bestimmt die Zentrale in Düsseldorf. So haben die beharrenden Kräfte der Partei über Jahre einen Stamm von Kadern herangebildet und in allen Bezirken an die Spitze gebracht, denen eigenständige Aktivitäten der Basis nur schaden könnten. „Wir können überhaupt nicht damit umgehen, wenn einmal andere Meinungen geäußert werden. Entweder reden gleich drei Redner einen hinterher in Grund und Boden, oder alle sehen sich peinlich berührt an und übergehen das Ganze“, beschreibt die „Betriebsgruppe öffentliche Bücherhallen“ in der Hansestadt in einem internen Papier den Zustand der Partei. „Wenn man dann noch erlebt, daß das Schlußwort zu einer Beratung schon vorher fertig ist, fragt man sich, was es bringt, sich eigene Gedanken zu machen.“ Der aufgestaute Unmut, der so oder so ähnlich aus vielen Positionspapieren zu entnehmen ist, die niemals über die UZ das Licht der Welt erblickten, hat im August in Hamburg zum „Diskussionsbeitrag des Bezirkssekretariats“ über den „krisenhaften Zustand der Partei“ geführt, der in den schlummernden Laden wie eine Bombe einschlug. Erstmals hatte ein mit über 40 Mitgliedern nicht einflußloser Bezirksvorstand offen eine grundsätzliche Kritik an der Partei geübt. Ihre Kritik ist fundamental. „Wir sind an einem Punkt, wo wir mit Einzelmaßnahmen nicht weiterkommen, sondern nur dadurch, daß wir die Parteiarbeit insgesamt verändern“, stellen die Autoren eingangs fest. Als Symptome der Krise machen sie „besonders gravierenden Rückgang der Mitgliedergewinnung“, eine „bemerkenswerte Zunahme von Austritten und Streichungen“ und ein „bestimmte Orientierungslosigkeit“ aus. Die „Identifikation mit der Politik der Partei“ gehe zurück, der individuelle Rückzug der Aktiven“ sei angesagt. Gründe: „Für die meisten Mitglieder sind Entscheidungsfindung weder durchschaubar noch real beeinflußbar.“ Der große Hoffnungsträger sind die „revolutionären Veränderungen“ in der Sowjetunion, die nicht nur für die Partei, sondern „für jedes einzelne Mitglied ganz persönlich“ einen tiefen Einschnitt darstellen. Als ein Monat später die Frankfurter Rundschau auf ihrer ersten Seite daraus zitierte und die Peinlichkeit, daß die etwa 60.000 Mitglieder der Partei wichtige Vorgänge nur noch aus der bürgerlichen Presse erfahren, sich ins Groteske steigerte, entschloß sich das Parteipräsidium zu einem Schritt nach vorn. Zusammen mit dem Diskussionsbeitrag des Hamburger Bezirkssekretariats verschickte die „Abteilung Öffentlichkeitsarbeit“ an alle Untergliederungen der Partei ihre „Stellungnahme“. Das Vorgehen der Hamburger wird in dem am 22.9. verabschiedeten Papier ohne Wenn und Aber mißbilligt. Mißbilligt wird, daß das Bezirkssekretariat überhaupt so ein weitgehendes Papier verfaßt hat. Diese „Legitimation“ habe allein die „gewählte zentrale Parteiführung“. Den Hanseaten wird vorgeworfen, allgemeine mit örtlichen Problemen vermengt zu haben. Denn: „Die These vom krisenhaften Zustand der Partei ist falsch.“ Statt sich ernsthaft mit den Kritikthesen auseinanderzusetzen, wird den Hamburgern ein schmutziges Geschäft unterstellt. Es müsse sich der Eindruck aufdrängen, „man will etwas anderes“. Was denn? Da sei „Vordenkertum“ am Werk, Gegner der Partei würden immer wieder auf Hamburg als „zweites Führungszentrum der Partei“ orientieren wollen, es herrsche ein „ungesunder Avantgardismus“ und ein unterentwickelter Kampf an der Wasserkante gegen das Spaltertum. Als akzeptierte Kritik und damit also kritischer Beitrag des Vorstandes bleibt am Ende: „Die Notwendigkeit von mehr Konsequenz in den politischen und ideologischen Auseinandersetzungen mit falschen Auffassungen in der Partei“. Es gehe um „mehr spürbare Führung“ und „mehr Verbindlichkeit“. Das läßt für die Zukunft nichts Gutes ahnen. Schon hört man von Parteiverfahren gegen Glasnost–Vertreter. Für den inneren Zustand der Partei ist kennzeichnend, daß diese sich in der Öffentlichkeit dazu nicht namentlich äußern möchten. Genausowenig ürigens, wie die mehreren Dutzend Leserbriefschreiber, die einem Spiegel–Journalisten, der kürzlich über die DKP schrieb, ihr Parteileid klagten. Und Peter Schütt ist mittlerweile mit seinen Tauwetter–Gedichten ein Poet, den man nicht mehr gern ins Zentralorgan UZ nimmt. Schrieb er doch schon im Frühjahr: „Dieses Jahr kommt der Frühlingswind wieder aus dem Osten. Er fährt in die Sitzungszimmer. Er rührt den Mief auf. Er wirbelt mehr auf als nur Papier. Er weht den Bürokraten ins Gesäß.“