„...dann sprengen wir eben den Louvre!“

■ Die französische Regierung greift gegen spanische Basken mit ungewohnter Härte durch / Mitglieder der ETA werden festgenommen und nach Spanien ausgewiesen / Französische Basken solidarisieren sich mit ihren spanischen Genossen

Aus Bayonne Georg Blume

Clement Soule strahlt. Er beschreibt die Situation knapp: „Kriegszustand“. Sein Gegenüber an der Bar zögert. Jacques Bidart spricht lieber nur vom „Ausnahmezustand“. Doch Clement ist hier der Herr und Wirt im Haus. Hier, im „Cafe des Pyrennees“ der alten französischen Königsstadt Bayonne, dem Treffpunkt der baskisch–nationalistischen Szene nördlich der Pyrenäen. Clements Begeisterung duldet derzeit keine Beschönigungen der Lage. Der robuste, gutgekleidete Mann, der mir noch im letzten Jahr als zurückhaltender, nahezu unfreundlicher Gastgeber begegnete, ist aufgelebt und beschwört in diesen Tagen seine Gäste - nicht ohne Humor: „Wenn der Staat so weiter macht, sprengen wir den Louvre.“ Unerwartet entwickelte sich das Baskenland an diesem Wochenende zu einem Brennpunkt französischer Innen– und Außenpolitik. 2.000 Polizisten, darunter zahlreiche Mitglieder der „anti– terroristischen“ Pariser Eliteeinheiten, waren am Sonnabend in Bayonne und Umgebung im Einsatz, als es auf Befehl von Innenminister Charles Pasqua galt, Mitglieder der baskischen Untergrundorganisation ETA festzunehmen, die sich auf französischem Boden aufhalten. 93 Perso nen wurden verhaftet, davon vier angeklagt, der Großteil der Fenstgenommenen (44) aber wurde sofort nach Spanien ausgewiesen. „Wie die Nazis sind die Bullen vorgegangen“, empört sich Clement über das Vorgehen der Staatsgewalt, und dann weiß jeder Mann an der Bar eine Geschichte zu erzählen, wie die Polizei bei Nachbarn oder Bekannten mit Axt, Brechstangen oder sonstigen Gewaltmitteln ohne Ankündigung einbrach. Die Aktion Pasquas war dennoch kühl berechnet. Am Mittwoch letzter Woche hatte der Innenminister seinen größten Coup in der mit Madrid abgestimmten ETA–Verfolgungspolitik gelandet. Die Polizei konnte Santiago „Potros“ Sarasola, die angebliche Nummer zwei der ETA, in Anglet bei Bayonne festnehmen. Mit diesem Erfolg begründete Pasqua die darauffolgende Massenrazzia am Wochenende und kündigt für heute weitere Festnahmen und Ausweisungen an. Hinter dieser Politik, wegen der das spanische Baskenland französische Produkte boykottiert, steht aktuelles taktisches Machtkalkül und ein altes Problem zwischen Paris und Madrid. Schon Franco und seither jede spanische Regierung konnte sich über den inoffiziellen Schutz ärgern, der baskischen Flüchtlingen aus Spanien im französischen Bas kenland zukam. Die Pyrenäen hinter Bayonne gelten als traditionnelles Rückzugsgebiet der ETA–Kommandos. Trotz gegenteiliger Bekundigungen verhielt sich auch noch die sozialistische Regierung in Paris im spanisch– baskischen Autonomiekonflikt in der Praxis neutral und ließ die baskischen Flüchtlinge gewähren. Erst unter der Rechtsregierung von Jacques Chirac und Innenminister Pasqua, seit März 1986 im Amt, schwenkte Paris um. Abrupt nahmen die oft tödlichen Attentate der vom spanischen Geheimdienst geleiteten Untergrundorganisation GAL auf baskische Flüchtlinge in Frankreich ein Ende. Im Sommer 1986 schließlich begann Paris unter Anwendung eines neuen Gesetzes, das ein sogenanntes „Verfahren der absoluten Dringlichkeit“ vorsieht, mit der Ausweisung baskischer Flüchtlinge an Spanien. Bislang wurden von über 700 Flüchtlingen 130 ausgewiesen. Der Flüchtlingsanwalt Jon Gonzales aus Biarritz ist gegenüber diesem Verfahren, das dem Innenministerium die alleinige Entscheidungsgewalt über Ausweisungen gibt, machtlos. Er kann heute nur auf den kürzlich veröffentlichten Jahresbericht von amnesty international verweisen, der die Vorgehensweise der französischen Regierung scharf kritisiert. So schreibt amnesty, daß das „Verfahren der absoluten Dringlichkeit“ Frankreich erlaube, „die Flüchtlinge loszuwerden, anstatt zu versuchen ihrer Verfolgung ein Ende zu setzen“. Doch sieht Anwalt Gonzales kein Ende der Ausweisungen. „Wir waren uns bewußt, daß die Ausweisungen eines Tages beginnen würden, und sie werden nicht mehr aufhören, bis alle ausgewiesen sind. Mit der Rechten in Paris und der Linken in Madrid steht derzeit die gesamte Spannbreite europäischer Politik gegen uns. Und im französischen Baskenland ist die soziale Basis der nationalistischen Bewegung mit fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung zu schwach, um Widerstand zu leisten.“ Sicherlich hat Pasqua ähnlich kalkuliert. Er weiß zudem, daß er mit einer Reaktion der ETA auf französischem Boden nicht zu rechnen hat. Zwar hat er die Organisation, wie man selbst in den Bayonner Sympathisantenkreisen anerkennt, mit Festnahmen, Ausweisungen und der Überwachung des einstigen „Rückzugfeldes“ empfindlich treffen können, doch wird die ETA, für die der Kampf im Norden der Pyrenäen immer untergeordnet war, auch jetzt nicht an zwei Fronten agieren wollen. In der Tat kann das Pariser Innenministerium hoffen, eine im Vorwahlkampf lukrative „anti– terroristische“ Schlacht eröffnet zu haben, bei der der Gegner fehlt. Natürlich ist dann eine harte französische Politik im Baskenland gleichzeitig Verhandlungsmasse im Streit mit Madrid um landwirtschaftliche Einfuhrbeschränkungen. In jedem Fall jedoch hat Charles Pasqua seine Rechnung ohne die im großen Konflikt zwischen Paris, Madrid und ETA fast vergessenen französischen Basken gemacht. Daher die Aufregung eines Clement Soule. Doch schon am Sonntag und Montag kam es auch in Bayonne zu spontanen Demonstrationen und Steinschlachten mit der Polizei. Daher seine Begeisterung. Jacques Bidart, der immer noch mit an der Bar steht, schmunzelt. Sein Bruder Philippe, Chef der kleinen französisch–baskischen Untergrundorganisation „Iparretarrak“, ist nach angeblich drei Polizistenmorden der derzeit meistgesucht „Terrorist“ in Frankreich. Jacques steht seinem Bruder ideologisch zur Seite und spricht leise: „Die Ausweisungen verändern die Lage, und die Ideen von einem bewaffneten Kampf auch hier im Norden kommen voran.“ Niemand weiß, ob er recht hat. Vom Kriegs– oder Ausnahmezustand ist man allerdings in Bayonne selbst - zum Glück - noch etwas entfernt.