„Hangmen never die“ oder „Der Henker darf nicht sterben“

■ Die britischen Konservativen machen mit Kriminellen, Arbeitslosen und der lokalen Demokratie kurzen Prozeß

Aus London Rolf Paasch

Unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen der Garde und im Beisein von Margaret I. versammelte sich im nordenglischen Seebad von Blackpool am Dienstag ein 4.000köpfiger Mob. Die aufgebrachte Menge drohte den Sheriff zu lynchen, wenn er dem Parlament nicht bald ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für einen längst ausgestorbenen Berufszweig vorlege: den des Henkers. Dies ist nicht etwa eine Passage aus der Geschichte von Robin Hood, sondern eine Beschreibung dessen, was sich am zweiten Tag des diesjährigen Parteitags der britischen Konservativen abspielte. Oder abgespielt wurde. Denn spätestens seitdem der Stellvertretende Parteivorsitzende der Tories unlängst vorgeschlagen hatte, nicht nur den Wahlkampf, sondern auch die Parteitage von der Werbeagentur Saatchi & Saatchi inszenieren zu lassen, gleicht die alljährliche Versammlung der Thatcher–Getreuen einer fernsehgerechten Produktion der „Royal Shakespeare Company“. In Maggies Volkskapitalismus ist auch die demokratische Kultur längst in den Fängen der Werbewirtschaft gelandet. Erster Akt, Auftritt Innenminister Hurd in der Henkerszene: Er redet von der „drohenden Gefahr in unseren Straßen“ und ruft mit seiner eindringlichen Beschreibung der steigenden Kri minalitätsraten in der Menge ein wohliges Schauern hervor. Konservative fürchten sich gerne, schließlich ist ihnen die Verbreitung von Furcht und Schrecken der Hebel zur Macht. Der Minister will das Tragen von Messern verbieten. „Mehr“, fordert der Mob. 4.200 neue Knastplätze. „Mehr“, schreit die Menge. Na gut, dann soll das Parlament die Todesstrafe bald neu diskutieren. Fast. Einige verlangen noch lautstark nach einem Referendum, aber die Mehrheit beruhigt sich wieder. Nach dem ramboesken Amoklauf des Michael Ryan im bis dahin unschuldigen Marktflecken von Hungerford kam der Ruf nach der Wiedereinführung der Todesstrafe nicht unerwartet. Es ist wie im Theater, da muß nur einer eine Stunde lang wild um sich knallend über die Bühne laufen, und schon werden acht Jahre struktureller Gewalt, werden Massenarbeitslosigkeit und Verelendung in der emotionalen Katharsis aufgelöst. Dazu gibt es noch Brot und Spiele, oder um genauer zu sein: nährwertarmes Toastbrot für die neue Unterklasse und Diskount–Aktien für die prosperierende Mittelklasse bei der bevorstehenden Privatisierung von BP. Doch nicht nur das Publikum draußen im Lande, auch die Statisten des konservativen Parteivolks in Blackpool haben in den acht Jahren der permanenten konservativen Revolution ihr soziales Profil verän dert. Die Zeiten, da die Wortbeiträge von Leuten mit so klingenden Namen wie Douglas Featherstone–Purvis oder Rupert Eccleston–Davies gehalten wurden, sind längst vorbei. Im modernen radikalen Toryismus der Thatcher– (Rieddachdecker)Ära heißen selbst die Minister kurz und knapp Baker, Fowler oder King. Höhepunkt der diesjährigen Handwerkerparade war schließlich der Auftritt eines langhaarigen Fensterputzers. Zweiter Akt, Arbeitslosenszene: „Was ich wissen will ist, warum es drei Millionen Arbeitslose geben soll, wenn es in Bournemouth nicht genug Fensterputzer gibt“ (Tumultartiger Applaus). Wenn soziale Herkunft und Haartracht im Thatcherismus keine Rolle mehr spielen, was denn mit der so viel beschworenen Moral? Die öffentliche Darstellung von Sex und Gewalt soll zwar verboten werden, nicht jedoch hinter den verschlossenen Türen des familiären Heims. Dazu, Akt II, dritte Szene von der Rückkehr des verstoßenen Sohnes. Auftritt des Thatcher–Spezis Cecil Parkinson - der vor vier Jahren seine Sekretärin geschwängert und verlassen hatte - als neuer Energieminister. Nach mehrjähriger Abbitte durch Arbeit im Ortsverein empfangen ihn die Parteistatisten mit einer 4–1/ 2minütigen Ovation. Worte werden nicht gesprochen. Die folgenden Szenen, die von der Demontage der Demokratie handelten, fielen dann dramaturgisch deutlich ab: Staatliche Schulen sollen vom Joch der schwulenfreundlichen Schulbehörden befreit werden; Sozialmieter sollen nicht länger unter dem Oberbefehl gewählter, linker Lokalpolitiker hausen müssen; und die verkommenen Innenstädte sollen mit Hilfe privaten Kapitals durch eine neue paternalistische Plutokratie aus angesehenen (Geschäfts– )Leuten renoviert werden. Am Ende dieser visionären Szenenfolge steht die Autokratie der scheinbar unsterblichen Margaret I. Eine solche Staatsform war auf der Bühne schon immer besser darzustellen als die komplizierten Abläufe lästiger demokratischer Entscheidungsfindung vor Ort. Fehlte nur noch die abschließende Triumphrede der Alleinherrscherin in einem Kabinett der Rückgratlosen, die für Freitag angesagt ist. Watch this space!