Betr. RAF: Verstummungsverbot

■ Entscheidende Dokumente westdeutscher Zeitgeschichte werden unterdrückt

Von Erich Kuby

„Was zählt, ist der Kampf“, schrieb Holger Meins (Hungerstreik, verhungert) in einem Brief an Manfred Grashof vom 1. November 1974. In voller Länge abgedruckt in: „das info, Briefe der Gefangenen aus der RAF 1973 - 1977“, Neuer Malik Verlag 1987, herausgegeben von Pieter H. Bakker Shut. Dieses Buch ist zur Zeit und möglicherweise auch später nicht in Buchhandlungen der Bundesrepublik zu erwerben. Denn: „3.000 Bücher beschlagnahmt, Verlage, Setzereien und Auslieferungsstelle des Buchs „Das Info“ durchsucht. Erstes 129a–Verfahren gegen ein Buch.“ (taz, 30.Sept. 1987) Der Paragraph wird angewendet, wenn der Verdacht besteht, es werde Werbung und/oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung betrieben. Nicht zu bestreiten: Nach gültiger BRD–Interpretation ist (war?) die „Rote Armee Fraktion“ eine terroristische Vereinigung. Es gibt eine Generations– Abfolge in der RAF. Wer sich heute noch dazu zählt und entsprechend agiert, dürfte selbst den Staatsschutzbehörden jeglicher Observanz nur schattenhaft bekannt sein. Vor wenigen Tagen, am 7. Oktober, veröffentlichte die taz auf zwei vollen Seiten ein Gespräch mit dem ehemaligen Regierungssprecher Klaus Bölling. Das ist ein Text, der dutzendfachen Nachdruck in größeren Blättern verdient hätte. Er war, Böllings Auffassung in fünf Worten zusammenfassend, überschrieben: „Die RAF mußte dämonisiert werden“. Das Verbot, „info“ zu vertreiben, wozu freilich das letzte Wort noch nicht gesprochen sein dürfte - ist ein neuer Meilenstein auf diesem Wege. Das obige Zitat stammt aus dem letzten Brief Holger Meins. Er starb elendiglich am 9. November 1974. Die Antwort der RAF war ein Versuch, den Kammergerichtspräsidenten Günter von Drenckmann zu entführen. Daraus wurde seine Ermordung am 10. November 1974. Am 18. Oktober 1977 wurden Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan–Carl Raspe tot in ihren Zellen gefunden; Irmgard Möller mit Stichen in der Brust, die sie sich selbst beigebracht hatte. Ulrike Meinhofs Tod, als Selbstmord deklariert und als solcher sofort in Zweifel gezogen, hatte bereits am 9. Mai 1976 stattgefunden. Außer Holger Meins waren ihr noch zwei RAF–Gefangene in den Tod vorausgegangen: Katharina Hammerschmidt am 29. Juni 1975, Siegfried Hausner am 4. Mai 1975. Diese Fakten gehören ins ABC der Literatur über die RAF. Es wird an sie erinnert, weil sie die personellen und zeitlichen Grenzen abstecken, in denen die Dokumente des info–Buches entstanden sind. Man kann sich darüber wundern, daß nicht wenige dieser „Briefe“ der Gefangenen schon früher publiziert wurden, ohne daß ein Staatsanwalt danach gekräht hätte. Wer sich wundert, gibt damit zu erkennen, daß er den Austrocknungsprozeß, der in unserem Staat hinsichtlich jeglicher Vergangenheitsaufbereitung von der „Endlösung“ bis eben zur RAF im Gange ist, nicht wahrgenommen hat. Vermutlich mangels der Einsicht, daß Aufklärung über Fakten Vater und Mutter von Erkenntnissen ist. Die existierende Literatur über die RAF, am bekanntesten Stefan Austs Buch „Der Baader–Meinhof–Komplex“ (1985) und der danach gedrehte Film beutet die Sachverhalte nur zum unterhaltsamen Konsum aus. Der Leser nimmt sie zur Kenntnis wie irgendeinen Krimi. Die politische Substanz wird nicht transportiert. Das geschieht jedoch in diesen „Briefen“, die schwer zu lesen sind, weil sich die RAF–Gruppe, offiziell Bande genannt, untereinander eines Gossen–Jargons bedient hat, in dem Bestreben, sich auch sprachlich zu isolieren und jegliche Bürgerlichkeit abzustreifen. Hören wir sie mit ein paar Zitaten: Holger Meins über das Verhalten in der Haft (5. Juni 74): „das wird kein zuckerschlecken .. kein wort zu den pigs, in welcher verkleidung sie auch immer ankommen, vor allem: ärzte .. kein besuch unter bullenbewachung ... keine provokationen ... aber sich unversöhnlich unerbittlich BIS ZUM ÄUSSERTEN VERTEIDIGEN mit der methode MENSCH.“ Gudrun Ensslin an Gerhard Müller, genannt Harry, am 4. August 1973: „ich sehe in den ollen kamellen, mit denen du kämpfst ., so, wie du es bringst, ... es auch der bringen würde/müßte, der es als vorwand und vorbereitung zum Rückzug aus der bewaffneten politik brächte. .. also scheiß doch mal drauf, mit den ganzen bürgerlichen (ja sehr häßlichen) tugenden, individualismus, idealismus usw. - stirbst du.“ Andreas Baader am 11. November 1974: „unsere emotionale reaktion allein ist keine waffe - es sei denn gegen euch. wir kämpfen bis zuletzt: der richtige zeitpunkt ist keine frage unseres bauches allein - sondern der taktik, dh der wirkung einer politik - mit jeder konsequenz für uns.“ Diese Zitate sind nicht tendenziös ausgewählt, um das politische Energiepotential der RAF zu verdeutlichen. Es gibt keine Seite von insgesamt 330, ja, ich würde beinahe sagen: es gibt keinen Satz, der nicht ebenso dafür stünde. Just diese Qualität, die vom Ereignishaften völlig abstrahiert, dürfte der Grund sein, warum gegen das Buch auf üble Weise eingeschritten worden ist. Hier wird nichts erzählt. Diese 118 dokumentarischen Texte halten nur eines fest: den Ekel vor der „deutschen Ordnung“, wie ihn von Hölderlin über Goethe und Heine bis Tucholsky viele große Deutsche empfunden haben, ohne daß diese geschossen hätten. Zu schießen aus Verzweiflung über die eigene Wirkungslosigkeit, das war eine Verirrung, die dem Staat Fortsetzung auf Seite 2 Die Zeichnungen sind aus: Willem „Europa über alles“, Edition Moderne nicht geschadet hat, den Verirrten aber den Tod brachte. Sie dem Staat gegenüber in ihren Aktionen in Schutz nehmen zu wollen, wäre absurd. Das Kriminelle ihres Handelns abzutrennen von ihrem Fühlen, Denken und Wollen ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, daß die Gegenwart begriffen werden kann. Schönfärberei durch Verbot - darauf laufen die Maßnahmen der Bundesanwaltschaft hinaus -, ist nichts als tendenziöser Selbstbetrug. Schriftsteller denken nach, Schriftsteller protestieren Die neue VS–Vorsitzende Anna Jonas braucht noch Bedenkzeit, um den Protest gegen die Anwendung des §129a auf „info“ so vorzubringen, daß er eine maximale Wirkung erreicht. Der VS Schleswig–Holstein hat bereits eine Presseerklärung herausgegeben, in der es heißt: „Die angegebene Begründung, das inkriminierte Buch sei geeignet, beim Lesen um Sympathien für die RAF zu werben, erscheint an den Haaren herbeigezogen. ... Die Beschlagnahme des Buches verhindert die notwendige Auseinandersetzung (über Beweggründe, Strategie und Taktik der RAF) und muß deswegen als schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht der Wissenschafts– und Publikationsfreiheit gesehen werden.“ Es handle sich offenbar um die „versuchte Einschüchterung engagierter Verleger und Autoren.“ Fußnote der Redaktion Claudio Magris ist aus der Redaktion ausgetreten. Über obenstehenden Artikel konnten wir uns mit ihm nicht einigen. Er wird voraussichtlich seine Stellungnahme später liefern.