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Hafenstraße: Dohnanyi optimistisch

■ Hamburgs Bürgermeister hofft auf Einverständnis mit Hafenstraßen–Bewohnern / Am Hafenrand wird noch diskutiert

Der sozialliberale Senat, vor allem aber Hamburgs Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD), wartet gespannt auf eine Entscheidung des Hafenstraßen–Plenums. Am Mittwoch hatte Dohnanyi den von Staatsrat Kruse paraphierten Vertragsentwurf über ein zukünftiges Wohnmodell in den ehemals besetzten Häusern in der Hafenstraße über Rechtsanwalt Rainer Blohm an die Bewohner dieser Häuser weiterleiten lassen. Die rund 100 Frauen und Männer, die die umkämpften Häuser in den vergangenen Monaten „sturmsicher“ hergerichtet haben, brüten nun über dem Papier. Dabei bereiten ihnen einige Klauseln größte Schwierigkeiten. So scheint es für sie kaum hinnehmbar, daß die Räumungstitel auch nach einem Vertragsabschluß bei der Stadt bleiben, Regelverstöße von einzelnen im Extremfall als Kündigungsgrund für eine ganze Hausgemeinschaft herangezogen werden können. Dennoch hofft Dohnanyi auf eine Unterzeichnung des Vertrages von seiten der Hafenstraße. Der SPD–Bürgermeister setzt darauf, daß die Räumungsdrohung für den Fall eines Scheiterns des Vertrages ihre Wirkung nicht verfehlt: „Ich gehe davon aus“, erklärte er im Gespräch mit der taz (siehe Interview), „daß die Bewohnerinnen und Bewohner der Hafenstraße verstehen, was es heißt (...), daß wir, wenn es nicht funktioniert, mit derselben Entschlossenheit das Projekt dort beenden werden.“ Und: „Das heißt räumen.“ Dohnanyi, dessen weiteres politisches Schicksal nach Ansicht vieler Politiker in Hamburg - auch seiner eigenen Fraktion - von der Lösung des Problems Hafenstraße abhängt, gibt die Verantwortung für ein eventuelles Scheitern an die Bewohner weiter: „Die Chance, die jetzt geboten ist, legt alle Möglichkeiten in die Hände der Bewohner. Wenn sie den Vertragsentwurf ablehnen, ist es ihre Angelegenheit.“ Mit allen Folgen. Über die will sich Bürgermeister Dohnanyi jedoch noch keine Gedanken machen: „Ich kann nicht über Einzelheiten nachdenken, die ich gegenwärtig nicht will“, behauptet er gegenüber der taz. Während Dohnanyi gespannt auf das Diskussionsergebnis des Hafenstraßen– Plenums wartet, mobilisiert die Hamburger CDU–Opposition in Zusammenarbeit mit diversen Zeitungen des Axel Springer Verlages dumpfe Bürgerangst. In seitenlangen „Dokumentationen“ werden Straftaten aufgelistet, die von Bewohnern der Hafenstraße verübt worden sein sollen. Die Hamburger Union unter der Führung von Bundeswehr–Major Hartmut Perschau hat die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses beantragt und bezeichnet die Bewohner der Hafenstraße schlicht als „verhandlungsunfähig“. taz: War der Erste Bürgermeister schon einmal in der Hafenstraße? Dohnanyi: Ich war schon vor Ort, aber nicht in den Häusern. Haben Sie mit den Bewohnern gesprochen? Ja, aber nicht in der Hafenstraße, immer wieder mal begegne ich Leuten, die dort wohnen, bei verschiedenen Veranstaltungen. Was für ein Bild haben Sie von den Bewohnern? Ich kann das nicht zusammenfügen. Ich habe mit vielen einzelnen Personen gesprochen, die ganz offensichtlich beunruhigt sind und dort friedlich wohnen wollen. Aber es muß ja auch andere geben, sonst gäbe es nicht so viele auch strafbare Ereignisse in der Hafenstraße. Insgesamt ist es sehr schwer für mich, das einzuschätzen. Ich glaube, daß dort mehrheitlich jüngere Leute in sehr schwieriger sozialer Lage wohnen. Es ist wohl die Sozialstruktur, über deren Zusammensetzung man am allerwenigsten weiß. Haben Sie ein Urteil? Die Fragen stellen wir. Wir wissen so viel, die daß die Bewohner den Vertrag in der vorliegenden Form nicht unterschreiben werden. Gibt es noch einen Verhandlungsspielraum? Nein. Der Vertrag ist mit großer Sorgfalt aufgrund der Kenntnisse von der Hafenstraße ausgearbeitet worden. Er ist in einigen technischen Fragen jetzt anders als im ersten Entwurf, aber nicht politisch, nicht in der Wirkung. Der erste Vertragsentwurf hatte eine aufschiebende Bedingung. Die lautete: Der Vertrag ist gültig, wenn Ihr die Befestigun gen abgebaut habt. Heute heißt es: Wir sagen Euch zu, daß wir den Vertrag unterschreiben, wenn ihr das gemacht habt. Das ist für die Hafenstraße weniger, wenn man es formal betrachtet, aber politisch–materiell haben die alle Chancen in der Hand. Politisch und materiell bedeutet der Vertrag Sicherheit für die, die sich rechtsstaatlich verhalten wollen. Das war mein Ziel, und daran läßt sich auch nichts abhandeln. Deswegen liegt die Verantwortung jetzt bei den Bewohnern. Und ich hoffe, daß sie zustimmen werden. Welchen Zweck haben dann die Gespräche, die Sie mit der GAL– Fraktionschefin Ulla Jelpke und dem Hafenstraßen–Anwalt Rainer Blohm geführt haben? Herrn Blohm wollte ich nur den letzten Stand - sozusagen aus meiner Sicht - geben. Außerdem habe ich einen Kontakt hergestellt zwischen ihm und der zuständigen Staatsrätin in der Behörde für Jugend und Soziales. Mit Frau Jelpke habe ich in ihrer Funktion als Fraktionsvorsitzende gesprochen, ich werde auch noch mit Herrn Perschau reden. Einige von den Leuten aus der Hafenstraße sind erklärte Gegner dieses Staates. Was soll mit denen geschehen? Es wird in unserer Gesellschaft immer erklärte Gegner des Staates geben. Wenn die Wohngemeinschaft an der Hafenstraße bestehen will, muß sie dafür sorgen, daß diese Gegner aus der Hafenstraße keine Straftaten begehen. Vorausgesetzt, der Vertrag kommt doch nicht zustande, was passiert dann? Entwerfen Sie mal ein Szenario. Ich denke gar nicht daran. Ich gehe davon aus, daß die Bewohnerinnen und Bewohner der Hafenstraße verstehen, was es heißt, wenn der Staatsrat der Senatskanzlei ihnen über den Rechtsanwalt geschrieben hat, daß wir, wenn es nicht funktioniert, mit derselben Entschlossenheit das Projekt dort beenden werden. Das heißt räumen. Das heißt räumen. Welche Zustände werden wir dann in dieser Stadt erleben? Ich kann nicht über Einzelheiten nachdenken, die ich gegenwärtig nicht will. Es fällt uns schwer, das zu glauben. Denn: Die Alternative besteht nach wie vor, und unser Eindruck ist, daß eine Tendenz unter den Be wohnern der Hafenstraße zu erkennen ist, den Vertrag abzulehnen. Die Folgen der Räumung werden doch auch Sie in Betracht ziehen. In erster Linie müssen das die Bewohnerinnen und Bewohner in Betracht ziehen. Die Chance, die jetzt geboten ist, legt alle Möglichkeiten in die Hände der Bewohnerinnen und Bewohner. Wenn sie sich rechtsstaatlich verhalten, können sie die Häuser behalten, in ihnen wohnen, sie instandsetzen. Wenn sie das nicht wollen, dann kann unter nicht–rechtsstaatlichen Bedingungen dort auch nicht gewohnt werden. Sie sprachen kürzlich davon, in dieser Angelegenheit einiges von Ihrem politischen Konto abgebucht zu haben. Kann das eine Fehlinvestition werden? Nein. Eine Investition in eine gewaltfreie Lösung in der Stadt ist immer eine richtige Investition. Die Frage ist nur, ob das, was ich damit bewirken will, auch erreicht wird. Wie weit hängt Ihr politisches Schicksal von der Entwicklung um die Hafenstraße ab? Ich habe nie gesagt, daß ich für die Bewohner der Hafenstraße sprechen kann. Wenn sie den Vertragsentwurf abschlagen, ist es ihre Angelegenheit. Wenn sie zustimmen, dann habe ich meine Pflicht getan und das richtige erreicht. Also überhaupt nicht. Sehr staatsmännisch. Wir können uns nach wie vor nicht vorstellen, daß der Senat keine Strategie für den Fall eines Fehlschlages hat. Dann wäre eine neue Situation eingetreten, über die ich nicht öffentlich spekulieren will. Andere Leute spekulieren sehr wohl. Auch Rathausabgeordnete Ihrer Partei schätzen es so ein: Wenn es klappt, sind Sie der große Zampano, wenn nicht, dann gnade Ihnen Gott. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich dafür verantwortlich sein soll, ob die Hafenstraße zusagt oder nicht. Ob das alle so sehen? Das „Problem Hafenstraße“ hat jedenfalls einen überregionalen Bekanntheitsgrad erreicht wie in dieser Stadt nur die Reeperbahn oder der HSV ... Ja, leider. ..vor allem auch wegen des Umgangs der Politiker mit diesem Problem... Ja, auch. Wir nehmen mal an, daß es drängendere politische Probleme in Hamburg gibt... Das ist wohl wahr! ..die damit kaschiert werden. Nein, nicht kaschiert. Es ist eine typische Eigenart in dieser Stadt, die Dinge nur auf Hamburg zu beziehen. Viele Hamburger wissen nicht, und ihnen wird auch von der dafür verantwortlichen Presse nicht gesagt, daß das, was jetzt der Senat hier macht, der Kollege von Weizsäcker, als er Regierender Bürgermeister in Berlin war, in ich weiß nicht wieviel hundert Fällen gemacht hat: nämlich Verträge mit Leuten zu schließen, die Häuser in Besitz gehalten haben - jenseits von Mietverträgen. Aber die Hafenstraße ist ein wichtiges Problem, das in Ordnung gebracht werden muß. Dabei hat die Politik nicht immer geholfen, das muß ich selbst nachträglich eingestehen. Wir haben die Ursachen des Problems nicht rechtzeitig analysiert und bekämpft. Wir hätten den Kampf um die Häuser frühzeitiger beenden oder aber den Bewohnern die Häuser geben müssen. Liegt der Fehler nicht auch in der Kleingeistigkeit dieser Stadt? Ein prominenter SPD–Linker sagte einmal: Das Problem der Partei - auch in Hamburg - ist, daß sie in breiten Kreisen eines dumpfen antiintellektuellen Spektrums verankert ist. In einem Spektrum, das mit Leuten, die den Staat ablehnen, weder Steuern, Miete noch Strom zahlen wollen und keine Lust auf normale Arbeit haben, größte Schwierigkeiten hat. Da habe ich auch größte Schwierigkeiten. Die Leute müssen ja, wenn sie Steuern und Miete schulden, diese auch zahlen. Das werden die in der Hafenstraße auch, wenn sie dem Vertrag zustimmen. In New York gibt es ganze Straßenzüge, in die sich Polizisten nicht reintrauen ... Schrecklich, möchte ich in Hamburg nicht haben. Bürgermeister Ed Koch kümmert sich nicht sonderlich darum, und der Rechtsstaat ist dennoch nicht in Gefahr. New York kann in dieser Hinsicht für uns nicht Vorbild sein. In der Hafenstraße begann die Sache zu faulen. Wir können nicht dulden, daß in einer Straße der Stadt eine rechtliche Entwicklung eintritt, in der kein normaler rechtlicher Zustand gewährleistet ist. Ein Vertreter der „Patriotischen Gesellschaft“ sagte: Das sind unsere Kinder. Kinder, die man in Ruhe lassen sollte. Das ist auch meine Überzeugung. (Solange sie das tun, was du willst, wa? d.S.) Aber was nicht geht, ist, daß aus den Häusern Hubschrauber mit Leuchtkugeln beschossen werden. Es geht auch nicht, daß ein Sender dort anfängt, unerlaubt in die Stadt zu senden. Diese Dinge müssen in Ordnung gebracht werden. Und das können die Hafenstraßenbewohner am besten selbst. Wie immer das Experiment auch ausgeht: Es ist kaum damit zu rechnen, daß die Bewohner dort als brave Bürger wohnen werden. Es wird auch weiterhin Regelverstöße geben - etwa Transparente zu Schleyer. Das glaube ich nicht. Wenn dort Transparente zur Unterstützung terroristischer Organisationen hängen, dann werden die wegzunehmen sein. Und das werden die auch machen, wenn sie den Vertrag einhalten wollen. Und wenn nicht? Der Verein wird das schon hinkriegen mit den Mietern. Es ist schon schwierig, das gebe ich zu. Aber was wäre die Alternative? Höchstens, den Bewohnern keine Chance zu geben, so wie das Herr Perschau macht. So will ich nicht Politik machen. Ich will Chancen für friedliches Vorgehen wahrnehmen. Hamburg muß jedenfalls mit solchen Outsidern leben können, und die müssen mit der Stadt leben können. Und wenn sie an einer solch prominenten Stelle wohnen wollen, müssen sie sich entsprechend verhalten. Fiele eine Lösung an anderer Stelle leichter? Ja. Am Hafenrand ist es auch für die Bewohner schwierig. Aber wenn die Hafenstraße sich umdreht und sagt, wir nehmen den Bürgermeister beim Wort, wir nehmen die Fraktionen beim Wort, wir haben den Vertrag, wir erfüllen die Bedingungen, die Bürgerschaft soll sich beeilen, ist die gesamte politische Landschaft verändert. Wie das? Auch die Darstellung der Bild– Zeitung würde sich verändern. Die Hafenstraßenbewohner könnten mit so einem Verhalten die ganze politische Szene über Nacht umstellen. Verändert sich dann auch was in der SPD? Da werden sich einige verändern, die nicht zugestimmt haben. Und es wird einige geben, die sagen: Na warte mal ab, was die hinterher machen. Wenn ein solches Modell erstmal beginnt, Zug zu kriegen, wenn die Leute sich engagieren für die Balken, anstatt für die Steine, dann läuft es auch. Wenn es läuft, wird es in der SPD nur Zustimmung geben. Das Gespräch führten Axel Kintzinger und Michael Berger

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