P O R T R A I T Eine „Kommunisten–Hure“ ist tot

■ Seit 1948 war Behice Boran mit der sozialistischen Bewegung in der Türkei verbunden

Istanbul (taz) - Das türkische Fernsehen meldete unkommentiert die Todesnachricht. „Behice Boran ist im Alter von 77 Jahren infolge eines Herzinfarktes in Brüssel gestorben.“ Erleichterung im Lande. „Die Schlange, deren Kopf zerschmettert werden muß“, „die kommunistische Hure“, „die Vaterlandsverräterin“ ist tot. Nicht ohne Grund war Boran jahrzehntelang das Schreckgespenst in den rechten türkischen Medien. Aufstieg und Niedergang der sozialistischen Bewegung in der Türkei sind mit ihrem Namen verbunden. 1948 wurde die Soziologie–Dozentin wegen abweichender politischer Auffassung von der Universität entfernt, 1950 wurde sie Vorsitzende der „Gesellschaft der Friedensfreunde“, die eine Kampagne gegen die Entsendung türkischer Soldaten nach Korea initiierte. Wegen eines Protesttelegramms an das türkische Parlament kam sie für 15 Monate in den Knast. Sie sollte im Alter noch mehrfach die Gelegenheit haben, die türkischen Knäste kennenzulernen. In den sechziger Jahren gehörte sie dem Führungskreis der „Arbeiterpartei der Türkei“ (TIP) an, dem Sammelbecken aller Kräfte links von der Sozialdemokratie. Während die illegale KP, vom politischen Lebensalltag abgeschnitten, zu einem unbedeutenden bürokratischen Apparat verkam, versuchte in den Sechzigern die „Arbeiterpartei der Türkei“, mit allen legalen Mitteln größere Menschenmengen zu mobilisieren: Massendemonstrationen für Landreform in den kurdischen Gebieten, Kundgebungen gegen US–Präsenz. 1965 zog Behice Boran für die Arbeiterpartei in das Parlament ein und war bis zur Militärintervention 1971 unumstrittene parlamentarische Sprecherin der türkischen Linken. Die „Arbeiterpartei“, deren offizielle Vorsitzende sie im Jahr 1970 wurde, war die Wiege aller sozialistischen Gruppen und Strömungen, die ab den siebziger Jahren auseinanderstrebten. Als sie 1975 von neuem die 1971 verbotene „Arbeiterpartei“ gründete, war die Linke bereits in Hunderte Fraktionen gespalten. Nach dem Putsch 1980 flüchtete sie ins Ausland, 1981 wurde sie von den Militärs ausgebürgert. Die Arbeiterpartei, in den sechziger Jahren Motor der sozialistischen Bewegung, verlor zunehmend an Bedeutung. Drei Tage vor ihrem Tod gab sie zusammen mit dem Vorsitzenden der KP auf einer Pressekonferenz in Brüssel die Vereinigung der „Arbeiterpartei“ mit der KP bekannt. Von sowjetischen Winden getragen, hatte die türkische KP eine Reihe politischer Revisionen verkündet. Die Diktatur des Proletariats wird nicht mehr angestrebt, die KP hat nicht mehr den Anspruch, einzige Partei der Arbeiterklasse zu sein, und dem legalen Kampf wird Priorität eingeräumt. Behice Boran ist tot. Doch sollte ihre Familie auf der Überführung des Sarges in die Türkei bestehen, wird ihre Beerdigung ein Ereignis sein, das den Herrschenden kaum gefallen dürfte. öe