Putschstimmung in der Nationalversammlung

■ Tumultartige Szenen in der französischen Nationalversammlung und eine seltsame Abstimmung

Aus Paris Georg Blume

Eine solche Nacht hat es bisher in der Geschichte französischer Gesetzgebung wohl kaum gegeben. Eine Handvoll Abgeordnete der rechtsradikalen „Front National“ brachten in einer zehnstündigen Gesetzesdebatte bis in den frühen Samstag morgen die Regierung in Schwierigkeiten und den französischen Parlamentarismus in Verruf - weil sie, zu zwölft, eine Nacht lang die stärkste Fraktion stellten. Um ein Gesetz zur Bekämpfung des Drogenhandels ging es in dieser Nacht, und von 577 Abgeordneten waren außerdem ganze acht Regierungstreue, vier Sozialisten und ein Kommunist zugegen. Einen Skandal witterte Jean– Marie Le Pen, der Führer der Rechtsradikalen. „Wir wollen ganz einfach auf klare Art und Weise zeigen, wie das Parlament funktioniert“, erklärte er. Das Vorhaben dürfte gelungen sein. Die Debatte entbehrte jeder Würde. Die Beschimpfungen der Rechtsradikalen nach allen Seiten nahmen kein Ende. Immer wieder konnten Le Pens Anhänger mit erfolgreichen Anträgen zur Geschäftsordnung die Abstimmung hinauszögern. Die linke Opposition enthielt sich regelmäßig der Stimme, bis dem überforderten Justizminister Chalandon nur der letzte Ausweg blieb: Mit der sogenannten „Blockadewahl“, die bei der Abstimmung der unveränderten Gesetzesvorlage die Stimmübertragung von nichtanwesenden Abgeordneten zuläßt, wurde das Gesetz verabschiedet. So lautete das Ergebnis denn 290 zu Null, obwohl kaum noch Abgeordnete anwesend waren. Die Koalition stimmte für das Gesetz, Sozialisten und Kommunisten enthielten sich und die Nationale Front war längst verschwunden. So konnten die wenigen anwesenden Abgeordneten von Pult zu Pult laufen, um für die fehlenden Kollegen den Abstimmungsschlüssel zu drehen - imperatives Mandat auf Französisch.