Barschel: „Verraten und verkauft“

■ Selbstmord kam nach Absetzbewegung in der eigenen Partei / Barschel „zutiefst deprimiert“ / Wollte unbekannten Entlastungszeugen in Genf treffen / Engholm weist Geißlers Kritik als „dreistes Bubenstück“ zurück

Von Benedict M.Mülder

Berlin (taz) - Für Sonntag abend hatte sich der frühere Ministerpräsident von Schleswig–Holstein, Dr. Uwe Barschel, noch mit seinem Rechtsbeistand, dem Kieler Jura–Professor Erich Samson, auf die für heute geplante Einvernahme vor dem Untersuchungsausschuß vorbereiten wollen. Doch Samson traf die Nachricht vom Selbstmord ebenso überraschend wie alle anderen auch. Von den Grünen über die SPD bis zur CDU waren die Reaktionen einhellig. Man zeigte sich schockiert und bestürzt. Reiner Pfeiffer: „Das kann ich nicht fassen. Oh Gott, oh Gott, warum hat er nicht die Wahrheit gesagt, das wäre nur halb so schlimm“. Die Grünen: „Wir bedauern zutiefst, daß sich Barschel in den letzten Wochen in eine Situation hineinmanövriert hatte, aus der er offensichtlich keinen anderen Ausweg mehr finden konnte“. Prof. Samson im Gespräch mit der taz: „Am Mittwoch habe ich zum letzten Mal mit Barschel telefoniert. Er klang zutiefst deprimiert, hat aber keine Andeutungen über einen bevorstehenden Selbstmord gemacht“. Ausschlaggebend sei für Barschel wohl die ausweglose derzeitige Situation gewesen, meinte Samson. „Barschel hatte keine Chance, sich zu verteidigen“. Aus der Sicht von jemandem, der die Unterlagen kenne, so Samson, sei es viel wahrscheinlicher, „daß Barschel von Pfeiffer geleimt worden ist“. Dazu gäbe es viel zu viele innere Widersprüche in den Aussagen Pfeiffers, betonte der Anwalt. Er kündigte an, nun seinerseits nach jenem Unbekannten in Genf zu suchen, von dem Barschel sich Entlastung erhofft habe. Entsprechende Informationen hatte Barschel in einem Telex an den CDU– Fraktionsvorsitzenden Kribben am vergangenen Donnerstag laut werden lassen. „Aufgrund einer Information, die ich vor einigen Tagen erhalten habe, und der ich noch am Wochenende persönlich nachgehen werde, könnte ich vielleicht schon am Montag einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung leisten. Ich kann in diesem fs nicht mehr andeuten“, endete die Mitteilung an Kribben. Am Samstag soll sich Barschel laut stern schließlich gegen 17 Uhr mit dem geheimnisvollen Informanten getroffen haben. Sonntag mittag wurde er dann tot in der Badewanne aufgefunden. In seinem letzten Interview mit Bild war Barschel am Samstag vor allem mit seinen Parteifreunden hart ins Gericht gegangen, die nach den ersten Enthüllungen im Untersuchungsausschuß sichtbar auf Distanz zum früheren Regie rungschef gegangen waren. „Ich bin betrübt und verbittert, daß meine eigenen Parteifreunde so über mich reden. Nicht einer hat vorher mit mir Kontakt aufgenommen“. Barschel weiter:“ Ich bleibe in allen Punkten bei meinen Angaben. Sie entsprechen der Wahrheit“. Barschel war insbesondere über die Aussagen des Finanzministers Asmussen verbittert, er, Barschel, habe schon im Januar nach der Steueranzeige gefragt. Aber auch andere CDU–Politiker hatten Barschel die Freundschaft aufgekündigt. CDU–Obmann Kerssenbrock hatte „drastische Maßnahmen“ bis hin zur Abgabe des Parlamentsmandates von Barschel gefordert. Ein CDU– Bundestagsabgeordneter, Olderog, zugleich Vorsitzender der schleswig–holsteinischen CDU– Landesgruppe in Bonn, hielt am Wochenende einen Parteiaustritt oder sogar den Ausschluß des „einst jüngsten Ministerpräsidenten“ für erforderlich, sollten sich die Vorwürfe gegen Barschel bestätigen. Noch ist ungewiß, wie der parlamentarische Untersuchungsausschuß in Kiel die neue Situation bewältigt. Die Grünen verlangten, daß seine Arbeit bis zur endgültigen Aufklärung des Kieler Politskandals vorangetrieben wird. Auch Prof. Samson kündigte seine Bereitschaft an, die von ihm konstatierten „inneren Widersprüche“ vor dem Ausschuß aufzudecken. Am Wochenende hatten zunächst die überraschenden Erklärungen des schleswig–holsteinischen SPD–Landesvorsitzenden Jansen und des SPD–Pressesprechers Nilius, bereits vor den Landtagswahlen am 13. September mit dem früheren Barschel–Mitarbeiter Pfeiffer zusammengetroffen zu sein, zu Schlagzeilen und einer scharfen Kritik des CDU–Generalsekretärs Geißlers am SPD– Spitzenkandidaten Engholm geführt. Engholm solle die „politische Verantwortung dafür übernehmen“, forderte Geißler in Bild am Sonntag, „und als Ministerpräsidentenkandidat zurücktreten“. Die SPD sei in Pfeiffers Machenschaften verwickelt. Anlaß seines „Entlastungsangriffes“ waren Erklärungen der SPD–Politiker vom Freitag. Nilius hatte zugegeben, Pfeiffer schon am 16.Juli und drei weitere Male vor den Enthüllungen des Spiegel getroffen zu haben. Engholm, der die Treffen seiner Mitarbeiter als „weder illegal noch illegitim“ bezeichnete, weil sie Schaden von der SPD abwenden sollten, meinte außerdem, die Verwertung der Informationen im Wahlkampf sei ohnehin nicht möglich gewesen, „weil sie zu ungesichert und der Informant nicht einschätzbar war“.