Religionskämpfe am Jerusalemer Tempelberg

■ Schwere Auseinandersetzungen zwischen Juden, Moslems und israelischer Polizei fordern 25 Verletzte / Der Religionskampf um die Heilige Stätte der Moslems eskaliert / Religiöser Fundamentalismus gewinnt bei Juden und Arabern immer mehr Anhänger

Aus Tel Aviv Amos Wollin

Der sonst feierlich stille weite Hof des Ost–Jerusalemer Harem Al Charif (deutsch: der heilige Platz), dessen Mitte die Kuppel der Omar–Moschee–Schmück und dessen hütender Basilika Al Aksa Moshee abschließt, verwandelte sich am Sonntag in einen Kampfplatz. Etwa 2.000 Moslems waren angetreten, um die in ganz Israel angekündigte Demonstration der rechtsextremen jüdischen „Getreuen des Tempelbergs“ im Hof der Moscheen zu verhindern. Im allgemeinen haben unbewaffnete jüdische Besucher wie auch Touristen freien Zugang zu dem Platz und den beiden großen Moscheen, die nach Mekka und Medina zu den heiligsten Orten des Islam zählen. Der von den jüdischen Extremisten organisierte Besuch sollte aber den jüdisch–israelischen Anspruch auf den gesamten Tempelberg demonstrieren. Der den Moslems heilige Harem Al Charif gilt auch als jüdisch–religiöses Nationalheiligtum - weil eben dort vor mehr als 2.000 Jahren der von den Römern zerstörte Tempel stand. Der Traum vieler orthodoxer und nationalistischer Juden ist es, den prächtigen dritten Tempel gerade dort zu bauen, wo jetzt die den 800 Millionen Moslems heiligen Moscheen stehen. Dieses Projekt unterstützen christliche Fundamentalisten vor allem in den USA, die in dem Neuaufbau des Tempels den Beginn des messianischen Zeitalters sehen. Damit spielt der Harem Al Charif schon lange eine zentrale symbolische Rolle nicht nur im Religionskampf, sondern bei den nationalen Aspirationen von Juden wie Arabern. Von Zeit zu Zeit gab es Anschläge mit dem Ziel, die Moscheen zu zerstören. Beide Seiten behaupten, daß Versuche unternommen würden, den Status quo heimlich zu begraben. Während die Juden behaupten, daß die Moslems die unterirdischen Hallen des Tempelbergs renovieren, beschuldigen die Hüter der Moscheen jüdische Archäologen, daß ihr Vordringen in das unterirdi sche Zentrum des Tempelplatzes die Bauten auf dem Tempelberg und entlang der Mauern (die nicht Teil der Klagemauer sind) ins Wanken bringen. Um den jüdischen Fanatikern den von der israelischen Polizei zugesagten Eintritt zum Tempelberg zu sichern, waren gestern Hunderte von bewaffneten Polizisten und Soldaten angetreten. Die erbosten arabischen Verteidiger des Harem Al Charif wurden mit Hilfe von Gasgranaten und Schüssen zurückgedrängt. Das Tränengas gelangte auch auf den großen Platz an der Klagemauer und zwang viele betende Juden zur Flucht. Die Schlacht um die Moscheen währte drei Stunden. Erst nachdem die jüdischen Fanatiker unter schwerster Polizeibewachung einmal um den ganzen Tempelhof marschiert waren, konnte die Ruhe wiederhergestellt werden. Bei den Zusammenstößen wurden etwa 25 Palästinenser verletzt und zwölf andere verhaftet. Die Ereignisse waren umso bedeutsamer, weil sie im Zug einer Reihe von großen palästinensischen Demonstrationen im Gaza– Streifen am Ende der vorigen Woche stattfanden, bei denen es ebenfalls viele Verletzte gab. Zuvor war die Erschießung von sieben Arabern durch israelisches Militär bekannt geworden, wobei es sich um bewaffnete Mitglieder der fanatischen religiösen Gruppe „Islamischer Heiliger Krieg“ handelte. Die Unruhen in der Stadt Gaza konzentrierten sich am Samstag auf den Campus der islamisch–religiösen Universität, wo einige Studenten Schußwunden erlitten. In Hebron auf dem Jordan–Westufer gab es gleichzeitig Auseinandersetzungen zwischen israelischen Siedlern und arabischen Trauergästen bei einem Begräbnis in der Moschee des Patriarchengrabs. Dort ist auch eine Synagoge eingerichtet worden. Den Angriff in Hebron führten die Mitglieder der rechtsradikalen Organisation von Meir Kahane an. Insgesamt steht derzeit also die religiös nationale Konfrontation im Vordergrund der jüngsten Zusammenstöße. Gleichzeitig führen diese Unruhen in den besetzten Gebieten aber auch zu einer allgemeinen Eskalation. Der Höhepunkt der gestrigen Ereignisse war eine Demonstration danach in Ramallah nördlich von Jerusalem, wo Hunderte von Jugendlichen auf die Straße gingen, um gegen die israelische Besatzung zu demonstrieren. Auf dem Hauptplatz der Stadt eröffneten israelische Truppen das Feuer, einige Palästinenser erlitten Schußwunden. Eine Lehrerin wurde getötet. Ein Streik der Geschäftsleute, der am Sonntag in Jerusalem und Nablus stattfand, dehnte sich gestern auf weitere Städte der Westbank aus.