Spekulationen beherrschen die Szene

■ Durch Uwe Barschels Tod dürfte der „Große Unbekannte“, der den Ex–Ministerpräsidenten entscheidend entlasten sollte, endgültig unbekannt bleiben / „R“ ist in der Affäre nicht ganz neu

Galt am Sonntag nachmittag noch Selbstmord als die wahrscheinlichste Version zum Tode Uwe Barschels, so hat sich das Spekulationskarussell bis Montag nachmittag bereits entscheidend gedreht. Während offiziell begierig Herzversagen als „natürliche Todesursache“ aufgegriffen wird, macht auch das Wort von Mord die Runde. Eike Barschel, der Bruder des Toten, der wie die anderen Angehörigen Uwe Barschels einen Selbstmord kategorisch ausschließt, behauptet, es sei Mord.

Angeblich zuerst, im Laufe des gestrigen Montags dann bereits offensichtlich, starb der Kieler Ex–Ministerpräsident Uwe Barschel an Herz– und/oder Kreislaufversagen. Gefunden am Sonntag mittag in seinem Zimmer im Genfer Hotel Beau Rivage, bis auf Jackett und Schuhe vollständig bekleidet in der mit Wasser gefüllten Badewanne. Warum der Ex–Ministerpräsident seinen letzten Gang angekleidet in die Badewanne unternommen haben soll, gehört zu den vielen Fragen, die in Bezug auf den Tod Barschels nach wie vor offen sind. Zuerst entdeckt wurde die Leiche von den Stern–Leuten Knauer und Andersen, die Barschels Absteige in Genf in Erfahrung gebracht hatten und den Ex– Regierungschef interviewen wollten. Im Zimmer soll sich eine Reisetasche mit Akten und ein Telefonbuch, in dem nur Initialen verzeichnet waren, befunden haben. Da der Zwischenbericht über die Obduktion nicht sehr aufschlußreich ist, die Ergebnisse der toxikologischen und chemischen Untersuchung dagegen erst in einigen Tagen vorliegen werden, sind Spekulationen um die Todesursache nach wie vor in Umlauf. So erklärte der in der Umgebung von Genf lebende Bruder Uwe Barschels, Eike Barschel, gegenüber dem Saarländischen Rundfunk, er gehe davon aus, daß sein Bruder ermordet worden sei. Eike Barschel gehört zu den Leuten, die am Samstag abend zu Uwe Barschel noch Kontakt gehabt haben wollen. Nach seinen Angaben habe ihn Uwe Barschel am Samstag gegen 18.30 Uhr aus Genf angerufen und seinen baldigen Besuch angekündigt. Während des Gesprächs habe er entspannt gewirkt und erzählt, er würde sich im Laufe des Abends noch einmal mit einem Informanten treffen, der ihn in der Kieler Affäre entscheidend entlasten könne. Nach Informationen aus unterschiedlichen Quellen kam Uwe Barschel am Samstag um 15.10 Uhr aus Gran Canaria am Genfer Flughafen an. Ein Augenzeuge berichtete gegenüber der taz, er sei von dort zu dem Hotel gefahren. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen habe er nicht den Eindruck gemacht, als sei er mit jemandem verabredet, sondern habe sich zügig zu einem Taxi begeben. Nach Informationen des Stern hat sich Barschel dann um 17 Uhr wiederum am Flughafen mit einem Informanten getroffen, von dem angenommen wird, es sei derselbe, mit dem er sich am Abend erneut treffen wollte. Sowohl Eike Barschel als auch die Ehefrau des Toten und seine Schwester, mit denen er noch am Samstag telefonisch in Kontakt war, berichten übereinstimmend, Uwe Barschel hätte von dem Großen Unbekannten die Übergabe eines Fotos erwartet, das für seine Entlastung von entscheidender Bedeutung sei. Das Foto hätte Barschels Ex–Referenten Pfeiffer mit einer zweiten Person gezeigt und dadurch der Affäre eine Wendung gegeben, die „man sich nicht hätte träumen lassen“. Ob dieses Treffen zur Übergabe des Fotos am Samstag abend wie von Uwe Barschel geplant stattgefunden hat, ist bislang nicht bekannt. Gerüchte ranken sich dagegen um die Person, um die es möglicherweise gehen könnte. Die Welt berichtet in ihrer Montagsausgabe, der Mensch sei aus Frankfurt gekommen und unter dem Decknamen Roloff gereist. Der große Unbekannte mit dem Initial „R“ ist in der Barschel–Affäre nicht ganz neu. Bereits am 21. September hatte sich bei Bild und Bunte ein Mann namens W. Rochell, seines Zeichens Geschäftsmann aus Castrop–Rauxel, gemeldet. Dieser Rochell behauptete, er und zwei andere integre Zeugen hätten bereits am 18. August 1987, also lange vor der ersten Veröffentlichung des Spiegel über die Affäre, Spiegel– Chefredakteur Böhme mit Pfeiffer zusammen in einem Hotel in Neumünster gesehen. Das paßte so recht in die Theorie, Pfeiffer sei von politischen Gegnern Barschels dem damaligen Kieler Ministerpräsidenten als Agent Provocateur untergejubelt worden, mit dem Ziel, Barschel zu diskreditieren. Doch Bild und Bunte, ansonsten für jede publizistische Deckung Barschels gut, schrieben keine Zeile über die Story. Laut Spiegel, weil beide schnell herausgefunden haben, daß Böhme zum behaupteten Zeitpunkt nicht in Neumünster war. Auch was sonst über Rochell bekannt wurde, steigerte seinen Wert als Barschels Entlastungszeuge nicht. Laut Spiegel sei er im Verteidigungsministerium bekannt als jemand, der sich wiederholt fälschlich als Agent des Militärischen Abwehrdienstes (MAD) ausgegeben habe. Noch gestern gab Rochell sich auf Anfrage der taz, ob er vielleicht der unbekannte Informant Barschels sei, geheimnisvoll. Weder könne er bestätigen, sich mit Barschel getroffen zu haben, noch wolle er eine Reise nach Genf am letzten Samstag dementieren. Auch ein für Barschel entlastendes Foto war bereits einmal in der Diskussion. Am 23. September meldete sich ein Unbekannter, der sich als Spiegel–Redakteur ausgab, bei Radio–Scheswig–Holstein und lancierte einen heißen Tip: Wiederum die Bunte sei im Besitz eines acht Monate alten Fotos, das Pfeiffer und Böhme zusammen in Bonn zeige. Doch die Bunte dementierte, und auch das Foto ward bis heute nicht gesehen. Noch spricht alles dafür, daß sich auch die Spur über das jüngste, von Barschel selbst am Vorabend seines Todes ins Spiel gebrachte Foto im Sande verläuft. Nach Auskunft der Genfer Polizei wurde jedenfalls im Hotelzimmer des Toten Uwe Barschel kein Foto gefunden, das ihn hätte entlasten können.