Steuerreform: Betroffenheit und Pflichtübungen

■ Ablehnungsfront ohne Formation / Mittwoch Debatte im Bundestag

Auf der Suche nach Gelegenheiten, Gerhard Stoltenberg derzeit für irgendetwas unbefangen loben zu können, spendeten ihm die zur traditionellen Berliner Herbsttagung angereisten Fraktionsvorstände der christlichen Schwesterparteien CDU und CSU am Montagabend den erwarteten Beifall: das Finanzierungskonzept zur Steuerreform finden sie prima. Zur gleichen Zeit appellierte Wirtschaftsminister Bangemann als Mitautor eines Werkes über „Umbrüche und Wandel der Weltwirtschaft“ aus der Buchmesse sogar aus weltwirtschaftlicher Sicht an die Bürger, „egoistische Motive zurückzustellen und den großen Wurf zur Neuordnung der Steuer voll zu unterstützen“. Während die Matadoren der Steuerreform ihre Position aufbauen, formieren sich die Kritiker. Bereits am Mittwoch wird sich auf Antrag der SPD der Bundestag mit den Beschlüssen der Koalitionsspitzen von CDU, CSU und FDP befassen. In der Aktuellen Stunde des Parlaments zu den „Auswirkungen ... auf Steuergerechtigkeit, Staatsfinanzen, und den Arbeitsmarkt“ wird ein heftiger Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition erwartet. Der Vorsitzende der DGB–Gewerkschaft IG Metall, Franz Steinkühler, meldete seinen „unüberhörbaren Protest“ an. Die Streichung des Arbeitnehmer– und des Weihnachtsfreibetrages bei gleichzeitiger Erhöhung der Werbungskostenpauschale führe für alle Arbeitnehmer zu zusätzlichen Steuerbelastungen. Unannehmbar sei zum Beispiel auch der gezielte Zugriff zum Beispiel gegen die Stahl– und Automobilbelegschaften, die bei einer stärkeren Besteuerung der Sonn–, Feiertags– und Nachtschichtzuschläge und der Rabatte für Jahreswagen erhebliche Einkommenseinbußen zu befürchten hätten. Der Betriebsratsvorsitzende im Daimler–Benz–Werk Stuttgart– Untertürkheim, Helmut Funk, sprach in diesem Zusammenhang von einem „unerhörten Vorgang“. Jetzt solle sich die Stuttgarter Landesregierung in Bonn dafür stark machen, daß an der jetzigen Regelung nicht gerüttelt werde. Sollten die Pläne der Koalition durchgehen, machten die Bezieher von Jahreswagen im Vergleich zu bisher einen Verlust von mindestens 3.000 Mark. Bei einer Inlandszulassung von 294.000 Daimler–Benz–PKWs fallen nach Ansicht des Betriebsrats rund 60.000 bis 70.000 Daimler–Wagen, die direkt von Mitarbeitern gekauft werden, „schwer ins Gewicht“. Die teilweise Versteuerung der Mehrarbeitszuschläge ist aus Sicht der IG Druck und Papier eine „Schweinerei“. In einer Erklärung der Gewerkschaft heißt es, die Versteuerung der Zuschläge sei Betrug an denen, die bei der Arbeit unter erschwerten Bedingungen „ihre Gesundheit zu Markte tragen“. Die IG Druck will im Falle einer Umsetzung der Pläne auf eine tarifvertragliche Anpassung drängen, um die Einkommen der betroffenen Arbeitnehmer zu sichern. Der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Werner Hagedorn, kritisierte die Subventionsabbaupläne als „sozial unausgewogen zu Lasten der Arbeitnehmer“ und forderte den Finanzausschuß des Bundestages zu Korrekturen auf. Dabei wandte er sich besonders gegen die Zinssteuer auf Ersparnisse der Bürger. Die Sparerfreibeträge sollten von 300 Mark für Ledige und 600 Mark für Verheiratete auf das Zehnfache angehoben werden, so daß Zinsen aus Sparkapital von bis zu 100.000 Mark steuerfrei blieben. Der stellvertretende Vorsitzende der SPD–Fraktion, Hans Apel, rechnete vor, nach den bisherigen Vorschlägen der Koalition seien die erforderlichen 19 Milliarden Mark noch längst nicht erreicht. Die SPD gehe davon aus, daß der Restbetrag durch eine Erhöhung der Neuverschuldung finanziert werden müsse. Die Verschuldung des Staates insgesamt werde dann 1990 deutlich über 100 Milliarden Mark liegen. geo