Wunsch und Wirklichkeit über den Verfassungsschutz

Ausstieg ohne Denunziation als Angebot des Verfassungsschutzes! Stehen wir vor einer Revision der linken Sicht über die Dunkelmänner der Macht? Ist im Kölner Bundesamt die Vernunft eingekehrt, oder verwechseln hier ein paar Frankfurter Altspontis Wunsch und Wirklichkeit über den real existierenden Verfassungsschutz? Ein Rückblick auf den Herbst 1985 scheint zur Beantwortung dieser Fragen unumgänglich. Am 1. August 1985 trat ein neuer Mann an die Spitze des Amtes: Holger Pfahls, ein harter CSU–Mann, der über seine Parteiseilschaft direkt aus der Münchener Staatskanzlei an die Spitze des Kölner Bundesamtes gehievt worden war. Pfahls löste in diesem Amt Heribert Hellenbroich ab, der an die Spitze des BND wechselte. Wenige Tage vor dem von Cohn–Bendit beschriebenen Kontaktversuch platzte in Bonn die sogenannte Tiedge–Affäre. Hellenbroich wurde geschaßst und Pfahls konnte sich nur halten, weil er zum Zeitpunkt der Affäre erst drei Wochen im Amt war. Alles in allem keine Situation, in der sich ein Apparat wie der Verfassungsschutz in ein Manöver begibt, bei dem die Deckung durch die politische Führung durchaus umstritten wäre. Was für den Apparat insgesamt gilt, gilt erst recht für seinen damaligen Präsidenten Pfahls. Siene politische Herkunft, seine Funktion als Aufpasser Zimmermanns im Apparat und seine Auftritte vor dem Tiedge–Untersuchungsausschuß machen die Annahme, ein solcher Mensch würde eine solche Aktion decken, nahezu unmöglich. Pfahls war ja gerade in seine Position gehievt worden, um Alleingänge, wie sie Zimmermann von Hellenbroich vorstellbar waren, zu unterbinden. Ebenfalls gegen die Annahme, Cohn–Bendit und Freunde seien mit einem seriösen Angebot durch den Verfassungsschutz konfrontiert worden, spricht die seit über einem Jahr heftig geführte Debatte um die Einführung eines Kronzeugen im deutschen Recht. Die Geschwindigkeit, mit der diese Gesetzesvorlage nach dem Mord an von Braunmühl auf den Tisch kam, spricht dafür, daß die Idee für Bundesanwaltschaft und Innenministerium alles andere als neu war. Wenn aber Rebmann seit langem auf eine Kronzeugenregelung hinarbeitete, warum soll er ein Angebot des Verfassungsschutzes unterstützen, durch das seine Strategie ad absurdum geführt würde. Denn woher soll Rebmann einen Kronzeugen nehmen, wenn die potentiellen Adressaten ihren Ausstieg angeblich auch viel billiger haben können? Und was auf die Bundesanwaltschaft zutrifft, ist natürlich auch für Innenminister Zimmermann richtig. Welcher Innenminister setzt sich einer auch für ihn nicht ganz angenehmen politischen Kontroverse aus und läßt eine ihm nachgeordnete Behörde eine Politik verfolgen, die seine offizielle Position konterkariert? Bleibt noch darauf hinzuweisen, daß die Angebote des Verfassungsschutzes, so sie denn existieren, nach geltender Rechtslage illegal wären. Zwar ist der Verfassungsschutz an das Legalitätsprinzip nicht gebunden, gleichwohl wäre der dauerhafte Schutz eines gesuchten „Terroristen“ nichts anderes als Strafvereitelung im Amt - ein Vorwurf, den sich ein Präsident des Verfassungsschutzes kaum wird einhandeln wollen. Zuletzt gibt auch die personelle Entwicklung im Kölner Bundesamt keinen Anlaß zu der Hoffnung, im Verfassungsschutz hätte sich eine wie immer geartete weiche Linie durchgesetzt. Seit Frühjahr dieses Jahres sitzt der frühere Vizepräsident des Bundeskriminalamtes Boeden auf dem Kölner Chefsessel. Es ist allgemein bekannt, daß sich die BKA–Spitze nach dem Wechsel von Herold auf Boge - dessen Vize Boeden war - vor allem durch einen Mangel an politischer Phantasie auszeichnete. Nicht gerade eine Empfehlung dafür, nunmehr als oberster Verfassungsschützer ganz andere Wege einzuschlagen. Jürgen Gottschlich