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Verfassungsschutz in neuem Gewande?

■ Im neuen Pflasterstrand präsentiert Daniel Cohn–Bendit das „Angebot des Jahres“

Individuelle Hilfe zum Aufbau neuer Lebensperspektiven für ausstiegswillige RAF–Mitglieder ohne Zwang zur Denunziation, so der Frankfurter Alt–Sponti Daniel Cohn–Bendit, habe das Bundesamt für Verfassungsschutz in Aussicht gestellt, wenn ein RAF–Mitglied ideologisch abschwört. Im Oktober 85, sei ein Beamter des Amtes an ihn herangetreten, dieses Angebot potentiellen Aussteigern zu unterbreiten. Ein Sprecher des Verfassungsschutzes bestätigte diese Angaben gegenüber der taz.

Eine Gruppe von Frankfurter Altlinken um den Pflasterstrand– Herausgeber Dany Cohn–Bendit hat seit Oktober 1985 Kontakt mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV). Wie Cohn–Bendit jetzt öffentlich machte, wurde der Gruppe über einen Kontaktmann des BfV ein Angebot an ausstiegswillige RAF–Angehörige zugespielt. Demnach ist das BfV bereit, potentiellen RAF–Aussteigern „Hilfestellungen für den Aufbau neuer Existenzen“ zu geben - „jeweils zugeschnitten auf die persönlichen Umstände“. Das BfV hatte im Herbst 85 Kontakt mit Dany Cohn–Bendit aufgenommen. Damals meldete sich in Frankfurt ein Herr „Benz“, der von sich selbst behauptete, innerhalb des BfV für „Fragen der Resozialisierung“ zuständig zu sein. Sein Anliegen: Cohn–Bendit und Freunde sollten für das BfV Kontakte zu ausstiegswilligen RAF–Mitgliedern herstellen. „Benz“ erklärte den verblüfften Altspontis, daß es nach Auffassung des BfV eine Reihe von RAF– Leuten gäbe, die „zurück“ wollten, dies aber ohne Hilfe von außen nicht könnten. Bei einem zweiten Treffen mit „Benz“, das im „Wienerwald“ am Alleenring stattfand, legte der BfV–Mann dann die „Ausstiegskosten“ offen: Den glaubhaften Nachweis des ideologischen und praktischen Ausstiegs. Gegenleistungen wie Denunziationen, Lebensbeichten, Zeugenaussagen oder gar Selbstbelastungen seien nicht erforderlich. Wie Cohn–Bendit im morgen erscheinenden Pflasterstrand (Nr. 273) offenlegt, sei dieser Weg innerhalb der zuständigen politischen Instanzen zwar noch umstritten, dennoch habe „Benz“ wiederholt versichert, daß das BfV bereit sei - neben der „repressiven Karte“ -, auf den sogenannten „positiven Verfassungsschutz“ zu setzen. In der Folgezeit hatten Cohn– Bendit und Freunde dann vergeblich versucht, das „Angebot“ des BfV an die Betroffenen weiterzuleiten. Cohn–Bendit: „Erstens glaubte niemand, daß es sich um ein seriöses Angebot handelt, weil es letztendlich bedeuten würde, daß Innenminister Zimmermann und Generalbundesanwalt Rebmann gleichermaßen bereit wären, in irgendeiner Weise mittels einer staatlichen Instanz mit den Terroristen zu verhandeln. Überdies leuchtete es den Aussteigern nicht ein, daß sie ihre manchmal trostlose Fluchtnische gegen ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang eintauschen sollten.“ Um diesen „Teufelskreis“ des wechselseitigen Mißtrauens zu durchbrechen, haben sich Cohn– Bendit und Freunde jetzt entschlossen, Öffentlichkeit herzustellen, insbesondere nachdem Kontaktmann „Benz“ versicherte, daß das Angebot trotz der letzten RAF–Anschläge und Liquidationen weiter gelte. Um die Ernsthaftigkeit des BfV–Angebots einordnen zu können, fordern Cohn–Bendit und Freunde den Innenminister, den Generalbundesanwalt und den Präsidenten des BfV auf, über autorisierte Interviews entweder zu bestätigen oder zu dementieren, daß es solche Absichten bei den zuständigen politischen Instanzen gibt. Cohn–Bendit: „Ob sich die Genannten allerdings aufgrund ihrer ideologischen Positionen in Sachen innere Sicherheit zur stillschweigenden oder öffentlichen Billigung des Vorhabens durchringen können, bleibt abzuwarten.“ Aus den Antworten zu neun Fragen, die Cohn–Bendit und Freunde ihrem Kontaktmann „Benz“ schriftlich stellten und die „Benz“ mit seinen Vorgesetzten abgestimmt haben will, läßt sich auch die Bereitschaft des BfV ablesen, ausgestiegenen RAF–Häftlingen eine „neue Lebensperspektive“ zu eröffenen. „Benz“: „Wir sind bereit, Signale über einen Sinneswandel aufzunehmen.“ Klaus–Peter Klingelschmitt

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