I N T E R V I E W Gute Freunde hängen morgens am Laternenpfahl

■ Gamini Navaratne, Herausgeber der einzigen unabhängigen Zeitung im Norden Sri Lankas, über das Scheitern des Friedensabkommens in Sri Lanka

taz: Zwei Monate nach Unterzeichnung des indisch–srilankanischen Friedensabkommens schießen im Norden Sri Lankas indische Soldaten und Kämpfer der tamilischen Guerillagruppe LTTE (“Tamil Tigers“) aufeinander wie zuvor Regierungstruppen und Guerilla. Ist das Abkommen gescheitert? Navaratne: Das weiß niemand, aber eines kann man festhalten: Die Inder haben ihr Versprechen nicht eingelöst. Die sogenannte Friedenstruppe tötet Menschen. Wieviele ist nicht zu sagen, denn es gibt keine unabhängigen Beobachter vor Ort. Ausländische Korrespondenten sind nicht zugelassen, die Inder und die Guerilla sind parteiisch. Die indischen Truppen durchsuchen jetzt systematisch alle Häuser nach Waffen und haben die Leute wohl auch angewiesen, sich an sichere Orte zu begeben. Aber: Welcher Ort in Jaffna ist zur Zeit noch sicher? Große Teile des Stadtzentrums sind durch die vorangegangenen Kämpfe zerstört, überall wird wild geschossen. Die derzeitigen Kämpfe sind einfach die dritte Phase der „Operation Liberation“, der militärischen Endoffensive gegen die Guerilla. (Die ersten beiden Phasen wurden von der sri–lankanischen Armee im Frühsommer dieses Jahres vor der Unterzeichnung des Friedensabkommens durchgeführt. Red.) Wer ist dafür verantwortlich? Alle Beteiligten haben Fehler gemacht. Die Regierungen von Sri Lanka und Indien haben die Guerillagruppen nicht in das Abkommen einbezogen. Es gab keine öffentliche Diskussion, nur vollendete Tatsachen. Dementsprechend gering war die Bereitschaft der LTTE, den Inhalt zu akzep tieren. Trotzdem ist das Friedensabkommen objektiv gesehen ein großer Fortschritt für die Militanten. Nie zuvor ist eine singhalesische Regierung tamilischen Forderungen soweit entgegengekommen. Wenn sie darauf nicht eingehen, zeigt das, daß sie politisch unreif sind. An dieser Stelle haben dann wiederum die Inder und Colombo versagt. Die Friedenstruppe hätte die Guerilla innerhalb der vorgesehenen Drei–Wochen–Frist entwaffnen müssen, die Regierung in Colombo alle politischen Gefangenen freilassen. Beides ist nicht geschehen. Würden Sie als LTTE–Kämpfer freiwillig Ihre Waffen überreichen? Ich würde gar nicht erst Mitglied einer solchen Organisation werden. Der Beschluß, auf der militärischen Ebene die Konfrontation mit den Indern zu suchen, ist das dümmste, was sie tun konnten. Die Friedenstruppe hat jetzt 15.000 Mann stationiert, sie ist gut ausgerüstet, Nachschub ist kein Problem. Die LTTE dagegen bekommt zur Zeit keine Waffen und keine Munition in die Jaffna–Halbinsel hinein, denn die Inder kontrollieren natürlich genauso wie vorher die sri–lankanische Marine die Nachschubwege über die Meerenge nach Indien. Die Guerilla kann bloß noch Minen legen. Ich denke, sie können nicht viel länger als eine Woche erfolgreich Widerstand leisten. Trotzdem genießt die LTTE aber doch offenbar breite Unterstützung bei der Zivilbevölkerung im Norden Sri Lankas? Ja sicher. Sie haben eine historische Rolle im tamilischen Befreiungskampf gespielt. Sie haben die Bevölkerung gegen die skrupellosen Aktionen von Armee und Polizei verteidigt, ihnen ihre Selbstachtung zurückgegeben. Die Wut über die sogenannten Sicherheitskräfte ist immens. Fast jede Familie hat ein Mitglied als Opfer der staatlichen Repression verloren. Die Jugendlichen haben nichts zu tun. Also gehen sie zur Guerilla. Wie wurden denn die Inder in Jaffna empfangen? Als Retter. Alle waren froh über den vorübergehenden Frieden, aber keiner sagte es offen, weil es eine Herabwürdigung der „Boys“, wie die LTTE im Volk genannt wird, gewesen wäre. Sie sprechen von der LTTE. Sind die anderen militanten Tamilengruppen und die bürgerliche Oppositionspartei TULF in Jaffna nicht mehr vertreten? Von der TULF haben wir in Jaffna seit langer Zeit nichts mehr gesehen und gehört. Sie hat das Abkommen willkommen geheißen, aber diejenigen ihrer Politiker, die aus dem indischen Exil zurückgekommen sind, sitzen in Colombo. Kein moderater Politiker würde es zur Zeit wagen, bei Wahlen zu kandidieren, wenn er sich nicht vorher mit den Tigers geeinigt hat. Wie bitte? Er würde seinen Kopf riskieren. Die LTTE denkt in Kategorien von Kontrolle und Einparteiensystem. Dies zeigen auch die Morde an den Angehörigen konkurrierender Tamilenorganisationen. Viele werden auf bloßen Verdacht hin erschossen, gute Freunde hängen morgens am Laternenpfahl (sogenannte „Lamp post–killings“). Zum Beispiel habe ich über längere Zeit einen Arzt bei mir versteckt, der sich um die medizinische Versorgung von Kriegsflüchtlingen gekümmert hat. Später fand man ihn mit Folterspuren und eingeschlagenen Zähnen. Tot. Sein Verbrechen war, daß er Mitglied der (eher sozialistisch orientierten Gruppe) EPRLF war. Hatten sie persönlich schon mal Probleme mit der LTTE? Nun, Ende 1986 schlugen die Tigers vor, daß alle Massenmedien im Norden ihrer Kontrolle unterworfen werden sollten. Da ihnen ohnehin schon eine Tageszeitung gehört und zwei weitere sich nach ihrer Linie ausrichten, kamen sie also in mein Büro. Ich war erstaunt und fragte: Mögt ihr meine Zeitung nicht? Wir haben doch ausführlichst über euch und die anderen Gruppen berichtet. Die LTTE dagegen argumentiert so: Wieso sollen wir nicht die Zeitungen im Norden kontrollieren, wenn die Regierung auf die im Süden den Daumen hält? OK, sagte ich, das müßt ihr dann aber ohne mich machen. Seither ist das Thema nicht wieder auf den Tisch gekommen. Als einzige unabhängige Zeitung erscheint der Saturday Review seit 1981 regelmäßig. Wie macht man überhaupt eine Zeitung in einem Kriegsgebiet? Mit viel Glauben an Allah. Die Büroarbeit ist chaotisch, oft sind wir über vier Stellen in der Stadt verteilt, überall liegen Bombensplitter herum, Ersatzteile fehlen. Wenn Ausgangssperre herrscht, sitze ich einfach in meinem Haus und warte. Natürlich weiß man auch nie, ob man die fertige Zeitung verkaufen kann. Meist werden wir 5.000 Exemplare des Saturday Review los, aber oft haben die Geschäfte auch geschlossen und in Colombo gibts unser Blatt eh nur unterm Ladentisch. Interview: Nina Boschmann