„Versöhnung“ in der Grünen–Fraktion

■ Gibt es zehn Jahre nach dem „Deutschen Herbst“ Chancen einer Versöhnung?

Unter dieser Fragestellung versuchte die Grünen–Bundestagsfraktion am späten Dienstag zu klären, ob die Zeit reif sei, daß RAF und Staat ins Gespräch kommen können. Ziel solle die Amnestie der politischen Gefangenen sein - soweit waren sich alle einig. Unvereinbar blieben die Ansichten dagegen bei der Frage, wer denn amnestiert werden soll: Alle oder nur die glaubwürdigen Aussteiger.

Es begann wie eine Uni–Vorlesung mit einem einstündigen Vortrag von Antje Vollmer und endete mit Geschäftsordnungsgerangel, als die von mehreren RednerInnen heftig attackierte Jutta Ditfurth eine persönliche Erklärung abgeben wollte. Die Diskussion über den „Deutschen Herbst“ verlief für die grüne Bundestagsfraktion also „ganz normal“. Hin– und hergerissen zwischen Anspruch und Wirklichkeit ging die Frage, in welcher Richtung man künftig konkret agieren will, zwar verloren, dafür wurde der massiv angerückten Presse aber auch kein ausschlachtbarer Streit geboten. Die Debatte, von Antje Vollmer als „eine der schwierigsten und heikelsten, die wir jemals geführt haben“ bezeichnet, endete diffus. Die vier Positionen, die es von Anfang an gegeben hatte, gab es auch noch am Ende: Antje Vollmer für eine Politik der Versöhnung mit dem Endziel, alle Inhaftierten freizubekommen, Thomas Ebermann gegen den Versöhnungsansatz, aber mit der Bereitschaft, aktuell auch weniger radikale Forderungen zu akzeptieren, Jutta Ditfurth mit ihrem radikalen Ansatz der Forderung „Amnestie für alle“ jetzt und Hubert Kleinert, der wirklich nur die „Aussteiger“ vorzeitig entlassen sehen will. Angesichts der großen Angst, die vorher Fraktionsvorstandssitzungen und die Gespräche auf dem Flur beherrscht hatte, für die Grünen vielleicht das beste, sicher aber auch das politisch unbefriedigendste aller möglichen Ergebnisse: es war nichts passiert, rein gar nichts. Dieses ängstliche Klima, die übergroße Sorge, mißverstanden zu werden, zeigt, wieviel aus der Zeit der Sympathisantenhatz die heutige politische Debatte noch prägt. Als „mutig“ gilt da, daß Astrid Proll heute den Selbstmord der RAF–Gefangenen für möglich hält - und damit im Trend der Zeit liegt. „Ich war noch nie so überzeugt wie in diesen Tagen, daß diese Deeskalationsinitiative nur von den Grünen kommen kann“ hatte Antje Vollmer zu Anfang der Debatte erklärt. Dabei zeigen der politische Ansatz wie auch die Liste der Eingeladenen, daß die Grünen eben gerade nicht die politische Gruppierung sind, die in alle gesellschaftlichen Gruppen hinein wirken wollen und können: Kritiker bisheriger Versöhnungsstrategien zwischen Gesellschaftsordnung und bewaffneten Gruppen, radikale, erklärte Staatsfeinde, Angehörige der politischen Gefangenen, um die es schließlich geht, waren gar nicht eingeladen. Und selbst über Astrid Proll und Christoph Wackernagel, die geladenen ehemaligen RAF–Mitglieder, ging die Debatte, die sich über weite Strecken mit dem Verhältnis der Grünen zu Gewaltmonopol und Gewaltfreiheit beschäftigte, stundenlang hinweg. Paradox mutete schon das Zusammenwirken von Zeitpunkt und politischem Ansatz der Debatte an. Gerade eine Woche zuvor hatten sich die Koalitionsparteien auf eine nachhaltige weitere Verschärfung der Staatsschutzgesetze verständigt, da stellt Antje Vollmer ihre Initiative für einen „gesellschaftlichen Dialog“ vor, die davon ausgeht, daß „die Zeit reif ist für eine friedliche Lösung“ des Konflikts zwischen „Befürwortern und Gegnern dieser Gesellschaft“. Ein Argumentationsmuster, das sie durchgängig benutzte und das dazu führte, über „verpaßte Chancen“ zu sinnieren, ohne zu reflektieren, ob die Regierung mit ihrem repressiven Kurs nicht ganz andere Chancen sucht. Diese Überlegung war für Thomas Ebermann der Ausgangspunkt, seine, wie er selber sagte, „sehr gemäßigte Kritik“ am Vollmer–Vorschlag zu formulieren: es müsse darum gehen, die „schroffe Kritik an den Kampfformen der RAF der Jahre 1970/71 zu unterscheiden von ihren teilweise richtigen Analysen“. Ebermann griff auch ein anderes Problem des Vollmer–Vorschlages auf: die Be mühungen um die Freilassung von Inhaftierten würden dadurch „gepiesackt“, daß manche nur die Amnestie für solche wollten, die dem bewaffneten Kampf „abgeschworen“ hätten. Diese Gesinnungsfrage könne umgangen werden, indem man feststelle, daß alle RAF–Mitglieder Prozeßbedingungen ausgesetzt worden sind, die es verbieten, von rechtmäßigen Verfahren zu reden. In diese Richtung argumentierte auch Christoph Wackernagel: es sei schon viel erreicht, wenn es gelinge, die vorhandenen Gesetze „exzessiv in die andere Richtung anzuwenden“, die ganze „Aussteiger–Argumentation“ hänge das Thema falsch auf. „Politische Lösungen des Terrorismusproblems“ wollten die Grünen durchdenken - in dem verqueren Ansatz haben sie sich selbst verheddert. Schließlich ist das entscheidende Problem nicht der „Terrorismus“, sondern seine Ursachen. Ohne eine politische Haltung zu dieser Gesellschaftsordnung zu haben, läßt sich auch schwer über die Kampfformen dagegen Einigkeit erzielen. Schon das „dagegen“ stößt ja bei etlichen FraktionärInnen auf heftigen Widerspruch. Der Streit zwischen Schily und Ditfurth, der Dissens von Ebermann und Vollmer hat das unmißverständlich klargemacht. Und schon gar nicht lassen sich auf so unbestimmter Grundlage politische Erscheinungen „lösen“, also abschaffen. Den Grü nen bleibt nach der Fraktionssitzung nur, ihr Anliegen tiefer zu hängen: statt ihre eigene weitgehende Versöhnung mit dem Staat nun auch den militanten Gruppen aufzuzwingen, sollten sie ihre Kraft darauf konzentrieren, allen politischen Gefangenen zu ihrem Recht zu verhelfen, denn „rechtmäßig verurteilt ist keiner“ sagt selbst Otto Schily. Bei Anwendung üblicher Kriterien säßen die meisten also gar nicht im Knast oder wären schon lange wieder draußen. Auch ohne Versöhnung. Oliver Tolmein