Familienzusammenführung auf nicaraguanisch

■ In drei Kriegszonen hat die sandinistische Regierung einseitig einen Waffenstillstand verkündet Jeden Samstag pilgern nun Zehntausende an die Grenze, um zur Contra übergelaufene Familienangehörige zu treffen

Aus Managua Rita Neubauer

Mit einer vagen Handbewegung weist der nicaraguanische Bauer in Kaulatu nach Norden. Irgendwo dort, hinter dem Hügel, vermutet er die Contra. Gestern hätte er sie noch gesehen, lautet die ebenso vage Antwort. Ganz konkret wird es aber dann bereits nach 200 Metern: aus dem Gebüsch schlüpfen drei Männer in Tarnanzügen, wenige Meter weiter die nächsten. Das AK–Sturmgewehr im Anschlag, bedeutet einer der Contras, ihm im Schrittempo zu folgen. „Keine Fotos, keine Tonbandaufzeichnung“, folgt die barsche Anweisung. Nach wenigen Metern taucht eine kleine Farm auf, wo noch mehr gutbewaffnete Contras herumhängen. Der Anführer der 45 Mann starken Gruppe nennt sich „Pantera“ - Panther. Einen Tag zuvor waren zwei nordamerikanische Journalisten in Begleitung des Roten Kreuzes unter Androhung, die Jeeps in Brand zu setzen, nach fünf Minuten fortgejagt worden. Die Stimmung hat sich inzwischen gebessert, die Bauersfrau soll Kaffee servieren. Umringt von seinen Männern, der jüngste gerade 14, der älteste etwas über 30 Jahre alt, gibt „Pantera“ die üblichen, stereotypen Erklärungen ab: Kampf bis zum Ende, das heißt bis die „Kommunisten“ in der nicaraguanischen Hauptstadt Managua gestürzt seien. Die Contras wiegen sich in Sicherheit. Denn Kaulatu, nahe der honduranischen Grenze, liegt in einer der drei Zonen, in denen die nicaraguanische Regierung am 7. Oktober einen einmonatigen Waffenstillstand ausgerufen hat. Nur wenige Kilometer entfernt, in der Nähe von Quilali, stehen die nica raguanischen Soldaten. Ihre Order: nur dann zu den Waffen zu greifen, wenn die Contras die Zivilbevölkerung attackierten. Natürlich sieht das „Pantera“ ganz anders. Großspurig erklärt er gegenüber der taz, daß für seine Truppe die Feuerpause nicht gelte. Der 24jährige, schwarzgelockte Contra: „Das ist nur ein Propaganda–Trick der Sandinisten, weil sie sich nicht mehr in die Gegend wagen, die wir inzwischen kontrollieren.“ Gleichzeitig bestätigt er aber, daß alle Soldaten zurückgezogen wurden und auch bislang keine Gefechte stattfanden. Während die Contra im sicheren Flecken Kaulatu Pläne für neue Operationen schmiedet, geht im nur fünf Kilometer entfernten Quilali die Angst um. Die Bevölkerung des Ortes, der nur einen Kilometer außerhalb der Waffenstillstandszone liegt, fürchtet einen Überfall durch die Contra. Baptisten–Prediger Camillo Sevilla, Mitglied der örtlichen Friedenskommission: „Natürlich unterstützen die Leute die Feuerpause, aber gleichzeitig haben sie die Miliz verstärkt.“ Quilali wurde bereits dreimal von den Antisandinisten heimgesucht. Das letzte Mal im Juni dieses Jahres. Die Friedenskommission ist wie die Feuerpause Produkt des am 7. August in Guatemala unterschriebenen Friedensplans für Mittelamerika. Bestehend aus politischen und kirchlichen Vertretern, hat sie vor allem in den Waffenstillstandzonen eine wichtige Aufgabe. Sie will die US–unterstützten Contras überzeugen, die Waffen niederzulegen und die Amnestie der Regierung anzunehmen. Ein schwieriges Unterfangen, denn die Contra beantwortet dieses Ansinnen mit Drohungen gegen die Friedensemissäre. In Quilali ließ sie bislang nur Familienangehörige vor. „Pantera“: „Die Aufforderung, unsere Waffen abzugeben, ist eine Beleidigung. Wir werden nie eine Amnestie der Sandinisten akzeptieren. Wir kämpfen, bis die Regierung gestürzt ist.“ So ausschließlich sehen es nicht alle Contras. Erst Anfang Oktober legten an der Atlantikküste 450 antisandinistische Miskito–Indianer ihre Waffen nieder. Die Kampfmoral der Truppe zeigt Risse. Dazu trägt auch „Las Manos“ bei. Der Grenzübergang zu Honduras, Mitte September wiedereröffnet, wird jeden Samstag zur Pilgerstätte Zehntausender. Von morgens neun bis abends fünf Uhr können sich dort vom Krieg zerrissene Familien wiederfinden. Bereits am Freitag abend rücken die ersten an. In überquellenden Bussen und auf Lastwagen kommen sie aus dem Landesinnern von Nicaragua. Sie schleppen Nahrungsmittel an, als wollten sie ihren Familienmitgliedern in Honduras beweisen, daß die Wirtschaftskrise in Nicaragua so schlimm nicht ist. Am Samstag früh ist auf Kilometer die Zufahrtsstraße von Autos gesäumt. Die nicaraguanische Polizei gibt Passierscheine mit der Mahnung aus, nur ja nicht mit Propaganda–Material der Contra zurückzukommen. Diese Befürchtung ist nicht unbegründet. Auf der Gegenseite verteilen Antisandinisten Flugblätter, die vor der „kommunistischen Gefahr“ warnen. Aber das scheint in Las Manos die Menschen erst in zweiter Linie zu interessieren. Sie umarmen sich nach jahrelanger Trennung, Kinder werden vorgezeigt, für den nächsten Samstag das nächste Wiedersehen geplant. Auch Maria Dolores Vasquez hat ihre Eltern seit acht Jahren nicht mehr gesehen. Sie verließ nach der Revolution 1979 ihre Heimat, heiratete in Honduras und wartet mit zwei Kindern und einem Bündel Eßwaren auf ihre Eltern und Schwestern, die in Managua leben. Zurück möchte sie nicht, auch wenn sie genau das Blatt Papier studiert, das ihr eine junge Nicaraguanerin in die Hand drückt: „Komm zurück in deine Heimat, nimm die Amnestie an.“ Ivan Kauffmann, Mitglied der Friedenskommission in Esteli: „Bis jetzt meldeten sich etwa 150 Nicaraguaner, die zurückkehren wollen. Vor allem Frauen und Kinder.“ Ängste der kriegsmüden Contra–Kämpfer, die Strafen fürchten, weist er zurück: „Was uns interessiert ist Name, Alter und Adresse der Eltern. Nicht für welche Taten der Contra verantwortlich ist. Wer die Waffen niederlegt, für den gilt die Generalamnestie.“