Konzentriert gegen Streikrecht

■ Italiens große Gewerkschaften befreunden sich mit Einschränkungen des Streikrechts Im Visier: Kleingewerkschaften und Basiskomitees / Arbeitgeberverbände zufrieden

Aus Rom Werner Raith

Das Streikrecht, in Italien wie in anderen demokratischen Ländern verfassungsrechtlich verankert, soll „gesetzlich geregelt“ werden. Offiziell stammt der Antrag vom Ministerpräsidenten Giovanni Goria; doch er bezieht sich ausdrücklich auf eine Anregung des Vorsitzenden der sozialistennahen Gewerkschaft UIL, Giorgio Benvenuto. Im Klartext: Streiks bestimmter Gruppen von Arbeitern und Angestellten sollen weitgehend ausgeschlossen werden, andere zu bestimmten Zeiten nicht zugelassen sein (vor Wahlen, vor Feiertagen etc.), die Höchstdauer begrenzbar werden (etwa bei der Versorgung mit Elementargütern). Der Grund für den Wunsch nach Streikeinschränkung ausgerechnet durch Gewerkschafter ist weniger, den Italienern stundenlange Wartezeiten auf Züge, Busse und Flugzeuge zu ersparen wie vorige Woche, oder Benzinversorgung und Nahrungsmittelnachschub zu garantieren - Grund ist vielmehr, daß den großen Gewerkschaften in Italien ihre Arbeitermassen weitgehend entglitten sind. Zwar werden Streikaufrufe der drei „Großen“ noch immer zu mehr als der Hälfte befolgt; doch als wesentlich effektiver haben sich mittlerweile die Winzlinge der „autonomen“ Gewerkschaften erwiesen, vor allem aber die „comitati di base“. Das sind auf örtlicher Basis organisierte Zusammenschlüsse von Arbeitern und Angestellten, die mit oft telefonisch abgespro chenen Blitzaktionen schon mal ganze Regionen vom Güterverkehr abgeschnitten hatten oder auch ihren Protest nach Schneeballmuster übers ganze Land verbreiteten - so etwa im Sommer, als die Lehrer die Zeugniserstellung in den Schulen verweigerten und so buchstäblich am letzten Schultag ihre Forderungen durchdrückten. Der Zulauf ist entsprechend - während die großen Gewerkschaften in fünf Jahren ein Drittel ihrer Mitglieder einbüßten, sind die Miniorganisationen und die Basiskomitees aufs Zehnfache angewachsen. So sind denn die „Vorbehalte“ der anderen Bosse von Großgewerkschaften gegen den Vorstoß der UIL relativ gering - CIGL (kommunistisch dominiert) und CISL (katholisch) überlegen sich lediglich noch, ob man die Streikregelungen nicht besser in die jeweils aktuellen Tarifverträge einbaut und eine gesetzliche Regelung „vorderhand unterläßt“. Doch sie haben auch durchblicken lassen, daß sie ihre Leute gegen eine gesetzliche Regelung nicht mobilisieren würden. Höchst erfreut haben die Arbeitgeberverbände die „vernünftigen Gedanken Benvenutos“ zur Kenntnis genommen (so der Industriellensprecher Lucchini): Sie waren durch die effizienten Streiks der Minigewerkschaften kräftig unter Druck geraten und haben wohl schon des öfteren überlegt, ob es so ganz schlau war, in den vergangenen Jahren die Großgewerkschaften so beharrlich zu schwächen, daß diese am Ende kaum mehr Einfluß auf die Arbeiter haben. So hat die Abschaffung der automatischen Lohnanpassung (scala mobile) zwar schöne Profite für die Unternehmer gebracht, jedoch den Gewerkschaften jede Glaubwürdigkeit ihrer Durchsetzungsfähigkeit genommen; überdies haben die immer zahlreicheren separaten Tarifabschlüsse zwischen Einzelfirmen und Belegschaften die Kontrolle der Syndikate über ihre Sektoren faktisch zerstört - doch auch die Firmen anfälliger gemacht, weil hier nun die Basiskomitees und die kleinen „Autonomen“ stark wurden. Daß nun ausgerechnet aus der Gewerkschaft selbst der Ruf nach Streikrechtsbeschränkung kommt, dürfte ein Himmelsgeschenk für die Industriellen sein, können sie so doch ihre vorbereiteten eigenen Initiativen wieder abblasen und die dankbare Aufgabe den Gewerkschaftsbossen selbst überlassen.