Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz

■ Ein Versuch der Grünen, bundesdeutsche Atomwaffen auf Dauer zu verhindern / Von Charlotte Wiedemann

Nach Umweltschutz nun auch noch Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz? Der auf den ersten Blick arg juristisch anmutende Vorschlag zielt auf einen sensiblen Punkt bundesdeutscher Großmachtträume: Die Gesetzesinitiative soll verhindern, daß eine zukünftige Bundesregierung den 1995 auslaufenden Atomwaffensperrvertrag nicht erneuert und sich im Hinblick darauf die Voraussetzungen für die Atomwaffenproduktion schafft.

Bonn (taz) - Die Forderung der Grünen wirkt schlicht: Herstellung und Besitz von Atomwaffen sowie die Verfügung darüber sollen der Bundesrepublik per Grundgesetz untersagt werden. Immerhin ist dies bisher eine offizielle Grundlage deutscher Politik, die nun per Verfassung für die Zukunft festgeschrieben werden soll. Die parlamentarische Initiative der Grünen geht vom Abgeordneten Thomas Ebermann, also vom ökosozialistischen Flügel der Partei aus, wurde aber im Rahmen der Pershing–1a–Debatte von der gesamten Fraktion beschlossen und zu diesem Zeitpunkt - unter aktuellem Handlungsdruck - bereits in den Bundestag eingebracht, wo sich die Beratungen darüber in etlichen Ausschüssen bis in das nächste Jahr ziehen werden. So banal der Ruf nach der Verfassung auf den ersten Blick wirkt, rührt die Forderung nach Atomverzicht doch an einen der sensibelsten Punkte westdeutscher Außen– und Sicherheitspolitik. Offene Diskussion über nukleare Teilhabe Noch nie wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten so offen über eine nukleare Teilhabe diskutiert wie in diesem Jahr. Die Pershing–1a–Debatte war dabei mehr Symptom als Höhepunkt: Auf die Raketen wurde zwar letztendlich verzichtet, doch die Anerkennung dieser Waffen als Drittstaatensysteme hat sich durchgesetzt und damit der Bundesrepublik statusmäßig Gewinn statt Verlust eingespielt. Seitdem reißt die Debatte nicht mehr ab. Nicht nur Frankreich denkt über den Bonner Zweitschlüssel für die Neutronenbombe und über andere Beteiligungsmodelle an der Force de Frappe nach. Auch Großbritannien ist heute eher bereit, den atomaren Gelüsten der Bundesrepublik entgegen zu kommen: Das britische Royal Institute of International Affairs forderte kürzlich in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik eine Europäisierung der britischen und französischen Atomstreitmacht und die Gründung einer westeuropäischen nuklearen Planungsgruppe. Auch wenn es die Friedensbewegung nicht wahrnimmt: Die Tür ist längst aufgestoßen dafür, daß die Bundesrepublik aus einem der längsten Schatten der Vergangenheit heraustreten kann - dem zähneknirschenden Verzicht des Kriegsverbrecherlandes auf die atomare Souveränität, an dem in den 50er und 60er Jahren noch kein Weg vorbeiging. Heftiger Widerstand gegen Atomwaffemsperrvertrag Als Eintrittskarte für die Westeuropäische Union und die NATO mußte Adenauer 1954 auf die Produktion von Atomwaffen auf eigenem Territorium verzichten. Unter Protest der CDU/CSU wurde 1969 von der Regierung Brandt/ Scheel der Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet: Er verbietet bis 1995 den Erwerb und Besitz von Atomwaffen und auch ihre Herstellung in deutschem Auftrag außerhalb der BRD. Der Vertrag wurde erst 1974 im Bundestag ratifiziert bei 90 Gegenstimmen der CDU/CSU. Eine Dokumentation aus dem Abgeordnetenbüro Ebermann, die heute der Bonner Presse vorgestellt wird, bringt dazu aufschlußreiche Details. Von denen, die sich damals den Griff zur Bombe nicht verbieten lassen wollten, sitzen heute fünf auf der Regierungsbank: Zim mermann, Schneider, Warncke, Kiechle und Wörner, der künftig deutsche Interessen als NATO– Generalsekretär vertreten will. Die Dokumentation der Grünen nennt noch andere wohlbekannte Namen aus den Reihen der damaligen Nein–Sager: Neben Strauß sind es Dregger, Wallmann, Bundestags–Vizepräsident Stücklen und der jetzige Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Alfred Biehle. Der Atomwaffensperrvertrag, über dessen Verlängerung 1995 eine internationale Konferenz berät, hat nicht verhindert, sondern eher erleichtert, daß die Bundesrepublik heute ein atomares Schwellenland erster Güte ist: Der Vertrag ermöglichte den ungestörten Aufbau des sogenannten zivilen Atomprogramms. Mit Brütertechnologie und Wiederaufarbeitung wird die Bundesrepublik 1995 von heute auf morgen die Bombe produzieren können. Der Atomwaffensperrvertrag hat auch nicht verhindert, daß - entgegen den Beteuerungen der Bundesregierung - in der BRD Nuklearwaffenforschung betrieben wurde. Nachgewiesen für den Zeitraum von 1975 bis 1982 wurden im Auftrag des Verteidigungsministeriums am Fraunhofer–Institut Studien über „kosteneffektive Realisierung“ und „Miniaturisierung“ von Kernwaffen erstellt. „Es ist wenig wahrscheinlich“, so der Atom–Experte der Grünen Mathias Küntzel, „daß die klammheimliche bundesdeutsche Atomwaffenforschung mit der Machtübernahme der Unionsparteien eingestellt wurde.“ Die Wege und Schleichwege zur westdeutschen Atommacht, ein Labyrinth zwischen Bonn und Wackersdorf, Jülich und Brasilien, Gronau und Namibia, ein Puzzle für recherchewütige Spezialisten. Doch es könnte sich schneller zusammenfügen, als die Atom–Opposition und die Friedensbewegung es hierzulande merkt. Die Weichen für die künftige westdeutsche Politik werden im Rahmen der euro–nuklearen Neuordnung bereits in diesem und den nächsten Jahren gestellt und nicht erst 1995. Bundesregierung reagiert aufgeschreckt Der Bundeshauptausschuß der Grünen beschloß am vergangenen Wochenende, das Thema Atomverzicht mit einer Aufklärungskampagne zu einem Schwerpunkt grüner Politik zu machen. Mit einer mehrsprachigen Broschüre - wie man munkelt, auch in russisch - soll international um Sympathie für das Verfassungsbegehren geworben werden. Unterstützung hat bereits der Trägerkreis der Unabhängigen Friedensgruppen (BUF) geäußert. Eine im November stattfindende Konferenz der Friedensbewegung könnte zeigen, ob der Atomverzicht außerparlamentarisch auf Widerhall stößt. Thomas Ebermann äußerte gestern die Überzeugung, daß für die Bundesregierung eine breite öffentliche Debatte über Atommacht–Bestrebungen außen– wie innenpolitisch unerwünscht sei. Außenminister Genscher hatte ihm kürzlich „politische Umweltverschmutzung“ vorgeworfen, als Ebermann im Bundestag daran erinnerte, daß der Atomwaffensperrvertrag unter internationalem Druck unterzeichnet worden sei. Genscher: „Wer das tut, zeigt, daß ihm der innere Frieden wenig Wert ist.“ (Die Dokumentation über „Die alten und die neuen Atommacht– Ambitionen der BRD“ kann über die Bundestags–Grünen bezogen werden).