Abrüstung ist viel zu teuer

■ Bundestag und Bundesrat bei der Arbeit / Stahldebatte ohne Perspektiven / Bisheriger Vize Herzog neuer Chef des Bundesverfassungsgerichts / Töpfer mußte nach Grünen–Abstimmungssieg einfliegen

Bonn (ap/dpa/taz) - Abrüstung ist teurer als Aufrüstung. Diese „unbequeme Wahrheit“, die nur eine weitere Aufrüstung zur Folge haben kann, vertrat Staatssekretär Köhler (CDU) gestern im Bundes tag. Es ging darum, den Vorstoß der SPD zur Finanzierung der Entwicklungshilfe aus dem Militäretat abzublocken. Die SPD visierte den „Solidarpakt gegen die weltweite Armut“ an, zumal die Welt in 36 Stunden vier Milliarden US–Dollar in die Kriegsvorsorge steckt. Die CDU stimmte gegen jegliche Umwidmung des Verteidigungshaushalts und wies darauf hin, daß zum Beispiel die Beseitigung der Chemiewaffen teurer sei als ihre Herstellung. Den Grünen gelang ein kleiner Triumpf. Sie erreichten im ausgedünnten Bundestag einen Abstimmungssieg, mit dessen Hilfe Bundesumweltminister Töpfer zur Beantwortung der Fragen rund um den eingestürzten Gorlebener Endlager–Schacht herbeizitiert wurde. Töpfer wurde von der Bundeswehr von der 125–Jahr– Feier des Anzeigers für das Harlinger Land eingeflogen. Als er ankam, war die Debatte just wegen Beschlußunfähigkeit zu Ende. In Sachen Stahl kündigte Wirtschaftsminister Bangemann erneut „Kapazitätsabbau“, also Entlassungen und Arbeitslosigkeit an. Die „Anpassung“ vollziehe sich weltweit. Bis 1995 brauche die EG nur noch 92 Mio. Tonnen Stahl, zehn Prozent weniger. USA und Japan würden ähnlich schrumpfen. Für die Grünen forderte Eckhard Stratmann die jahrelang subventionierten Unternehmen auf, „konzerninterne Beschäftigungsgesellschaften“ zu gründen, um neue Arbeitsplätze anzubieten, wo die alten verloren gehen. Bangemann, SPD und Grünen forderten unisono eine „Perspektive“ für die Stahlarbeiter und ihre Familien. Als Lösung bot die SPD (Wolfgang Roth) eine „aktive Investitions– und Strukturpolitik“. Der Bundesrat wählte erwartungsgemäß den CDU–Mann und bisherigen Vize Roman Herzog zum neuen Vorsitzenden des ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts. Sein Vize ist jetzt Mahrenholz (SPD), ausgeschieden ist der bisherige Vorsitzende Zeidler (SPD). In den erlauchten Kreis des ersten Senats ist außerdem der Richter Thomas Dieterich aufgenommen worden. Er kommt für Helmut Simon, der im BVG noch zu den progressiveren Kräften gezählt hatte. Der Bundesrat stimmte außerdem dem Vorschlag zu, die alten EG–Strahlen–Grenzwerte beizubehalten, falls es bis zum 30. Oktober (Auslaufen der Verordnung) zu keiner neuen Einigung der EG kommt. Die EG will die Grenzwerte bekanntlich kräftig erhöhen. Abgeschmettert von der CDU wurde der Antrag Hamburgs, ein Gesetz zu schaffen, das die Behörden zur Auskunft von Umweltdaten verpflichtet. SPD–Hamburg will den „gläsernen Schornstein“, die CDU will gar nichts, die bestehenden Informationen genügten. -man–