Grüne Distanzierung von Ditfurth

■ Die Mehrheit der Bundestagsfraktion der Grünen hat sich von Vorstandssprecherin Jutta Ditfurth distanziert / Anlaß war ihre Erklärung zum Deutschen Herbst / Antrag auf Debatte zum Staatsverständnis

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Nach einer nächtlichen Sondersitzung hat sich die Mehrheit der Bundestagsfraktion der Grünen gestern in scharfer Weise von der Partei–Vorstandssprecherin Jutta Ditfurth distanziert. Diese hatte in einer Erklärung zum Deutschen Herbst gesagt, der Staat brauche den Terror, um von seiner eigenen alltäglichen Gewalt abzulenken. In einer Resolution, vom Berliner Grünen Peter Sellin verfaßt, die die Fraktion Donnerstag nacht mit 16 gegen neun Stimmen verabschiedete, werden die Ditfurth– Äußerungen als „politisch unhaltbar und fatal“ angegriffen. Der Partei–Sprecherin wird vorgeworfen, sie habe „kein positiv entwickeltes formuliertes Staatsverständnis“, sondern zeige „die gedanklich fatale Konstruktion eines den Terror überlegt und absicht lich planenden Staates“ und stelle den gewaltfreien „Grundwert der Partei“ infrage. Der nächtlichen Sondersitzung, von der die taz als einzig anwesende Presse ausgeschlossen wurde, war eine massive Kampagne der CDU/CSU vorausgegangen: Zwar hatte Christa Nickels als Rednerin sich im Bundestag geweigert, den verlangten Distanzierungskniefall von den Ditfurth– Äußerungen zu vollziehen. Sie plädierte statt dessen in der internen Debatte für einen Offenen Brief an Ditfurth mit der Aufforderung zur Klarstellung statt einer öffentlichen Distanzierung. Doch die realpolitische Mehrheit der Fraktion wollte das Tischtuch zur ungeliebten Parteisprecherin zerschneiden. Ihre Position habe in der Partei nichts zu suchen, so Waltraud Schoppe. Sie bringe die Grünen unter fünf Prozent (Char lotte Garbe) und sei als Sprecherin nicht mehr hinnehmbar (Halo Saibold). Otto Schily nannte die Ditfurth–Erklärung eine „kaltblütige Inszenierung“, um die Amnestie– Initiative von Antje Vollmer zu verhindern. Die Grünen müßten endlich die Sanktionsgewalt des Staates anerkennen. Petra Kelly warf Ditfurth vor, ein autonomes Spektrum an die Partei binden zu wollen, das sie selbst bei den Grünen nicht haben wolle. Die Nicht–Realo–Minderheit kritisierte zwar ebenfalls verschiedene Punkte der Ditfurth–Erklärung, aber Thomas Ebermann verwies darauf, daß die Formel „der Staat braucht den Terror“ früher von Jusos, linker SPD und der DKP vertreten wurde. Die verabschiedete Erklärung wurde gestern von beiden Seiten als Eskalation des Flügelstreits gewertet. Eckart Stratmann: „Wenn das so weitergeht, steht die Partei vor dem Bruch.“ Der Pressesprecher des Bundesvorstands, Michael Schroeren, nannte die Erklärung „einmalig dümmlich und vor bürgerlichem Mief stinkend“. Es sei ein Novum, wie sich die Fraktion dem Druck der CDU/CSU gebeugt habe. Sein Kollege Christian Schmidt bezeichnete den Beschluß als ein Übersoll an deutscher Staatstreue. Jutta Ditfurth habe erfolgreich die deutsche Spießbürgerlichkeit provoziert, auch wenn ihre umstrittene Presseerklärung unausgewogen sei. Der weitere Streit scheint sich auf die Frage der Staatstreue der Grünen zuzuspitzen: Eine Debatte zum Staatsverständnis wurde bereits beantragt. Aus dem baden–württembergischen Kreisverband Calw wurde schon vorher ein Partei–Ausschlußantrag gegen Jutta Ditfurth gestellt.